Regionale Wirtschaft: Anrufen lohnt sich

„Das war ne klassische Kaltakquise, was, Frau Ritter?“ erinnert sich Andreas Marx, der für die Immobiliensuche zuständige Mitarbeiter der Lidl Lampertswalde GmbH & Co KG daran, wie die Radeburger Bürgermeisterin seinerzeit die Sache anging.

Ein anonymer Zettel lag eines Tages in ihrem privaten Briefkasten zu Hause mit dem Tipp, das Lidl Lampertswalde auf Standortsuche für ein neues Logistikzentrum sei.

Spatenstich für das neue Lidl-Logistikzentrum

Spatenstich für das neue Lidl-Logistikzentrum - Michaela Ritter (Mitte) und Sebastian Fischer (re. CDU-MdL) sowie von Lidl Lampertswalde - v.l. Herr Dürichen, Herr Köhler und Herr Liebich.

„Das glaubt mir keiner, aber das war so,“ verrät die Bürgermeisterin. Es war vielleicht jemand, der bei Lidl arbeitet und in Radeburg wohnt, kann man nur spekulieren – und vielleicht meldet derjenige sich ja nach dem Artikel noch, um die Blumen in Empfang zu nehmen.

Michaela Ritter ließ jedenfalls nichts anbrennen und griff beherzt zum Hörer. Dabei stieß sie erst auf Ablehnung. Radeburg habe man nicht mehr im Blick, weil der Flächenzuschnitt zu klein sei. Man suche 150 000 zusammenhängende Quadratmeter in der Region. Die Bürgermeisterin meinte, man könnte versuchen, diese Flächen südlich des Gewerbegebietes Radeburg auf einer Erweiterungsfläche hinter dem für Dachser gerade erschlossenen Feld zu finden.

Da diese Fläche aber aus mehreren Einzelgrundstücken mit verschiedenen Eigentümern bestand, kam keine Einigung über den Flächenkauf zustande.

Die Win-Win-Situation

Dennoch ließ sie die Lidl-Manager nicht mehr von der Angel. Dank eines reibungslosen Wechselspiels zwischen Stadtrat, Stadtverwaltung und der Bauland GmbH einigte man sich schließlich, dass Lidl mehrere Baufelder erwerben konnte, die miteinander verbunden werden sollten. Zusammen ergab das zwar nur 115 000 m², aber offenbar war der Standort es wert, von der Ideallösung Abstriche zu machen. Dazu mussten die Guerickestraße und die Winckelmannstraße südlich von Am Wertfeld, sowie die Bayerische Allee komplett eingezogen werden. Der Stadtrat gab dazu am 22. Mai 2014 sein konstruktives Votum.

Lidl war Radeburg schon seinerzeit sehr entgegengekommen, als es die Kosten für den Kreisverkehr übernahm, der heute im Volksmund „Lidl-Kreisverkehr“ heißt und damit ein Radeburger Verkehrsproblem gleich mit löste. Radeburgs Stadträte wünschten einen Drogeriemarkt und den Erhalt der Linden am Lindenplatz – das war nur möglich, wenn die Kegelbahn „geopfert“ werden würde. Lidl war bereit, sein Projekt anzupassen und zusätzlich den Grunderwerb für die dazu notwendigen Flächen zu tätigen. Den Verkaufserlös für diese Flächen konnte die Stadt als Eigenmittel für das neue Sportlerheim an der Jahn-Kampfbahn – inklusive Kegelbahn – investieren. Am Ende eine klassische Win-Win-Situation, ein Deal zum gegenseitigen Vorteil – was oft gesagt wird, hier aber zutrifft.

Am Montag, dem 25. April, war es nun so weit. Erster Spatenstich für den Bau des neuen Logistikzentrums mit einer 42000 m² großen Lagerhalle und einem Verwaltungskomplex, das für die nächsten 20 Jahre Bestand haben und deshalb die aktuell modernsten Standards erfüllen soll.

Ein Beispiel dafür ist die klimafreundliche Ausrichtung.

Durch die Lage unmittelbar an der Autobahn werden nach voraussichtlich einjähriger Bauzeit Voraussetzungen entstehen für kraftstoffeinsparende und den CO2-Ausstoß mindernde Lieferwege mit kurzen Fahrzeiten zu den rund 100 Lidl-Filialen in der Umgebung.

Darüber hinaus wird das Zentrum mit ausgefeilter Klimatechnik ausgestattet. Die Kühlanlagen zur Lagerung von temperaturempfindlichen Lebensmitteln werden mit natürlichen Kältemittel betrieben und die durch die Kühlung entstehende Abwärme wird dazu genutzt, andere Lagerbereiche zu beheizen. Ein die gesetzlichen Anforderungen der Energiesparverordnung übertreffender Einsatz von Dämmmaterialien soll Wärmeverluste noch weiter verringern. Lichtkuppeln im Hallendach und der Einsatz von LED-Leuchten in Verbindung mit Lichtsensoren zur optimalen Nutzung des Tageslichts werden weitere Einsparungseffekte bringen. Eine 500 kW Photovoltaikanlage findet auf dem Hallendach dennoch Platz. Damit kann etwa die Hälfte des Strombedarfs des Lagers selbst gewonnen werden.

Und wie steht es um die Zukunft des Standortes Lampertswalde?

Das für die Verdoppelung der Nutzfläche verfügbare Gelände wäre dort vielleicht auch aufzutreiben gewesen, beim Ortsteil Schönborn vielleicht sogar in Autobahnnähe. Allerdings hätte man da aufgrund der Eigentumsverhältnisse ähnlich bei Null anfangen müssen wie am Standort Berbisdorf. Da hatte das schon erschlossene und in einer Verkäuferhand liegende Gewerbegebiet Radeburg eben entscheidende Vorteile. Die Nachteile für Lampertswalde muss man nicht kleinreden. Mit Lidl wird Lampertswalde einen weiteren wichtigen Steuerzahler verlieren.

Bürgermeister Hoffmann lässt Lidl mit Wehmut ziehen. „Lidl war der Anfang von unserem Gewerbegebiet. Das war eine unglaubliche Geschichte,“ erinnert er sich. Am 2. Juli 1990 wurde in Lampertswalde eine Konsum-Halle errichtet, vom gleichen Typ wie die in Großdittmannsdorf. Bei der Eröffnung war der Laden nahezu leer. Bei Konsums herrschte Niedergang. Niemand kümmerte sich. So beschloss der Gemeinderat, den Laden auszuschreiben. Es gab Interessenten, zum Beispiel für eine Videothek, aber keine für einen Laden zum Einkaufen. Also beschlossen wir, in Dresden zu inserieren. Daraufhin meldete sich ein junger Mann, der sagte, dass er für Lidl arbeite und Standorte suche. Wir verabredeten einen Termin. In einem weißen Golf kam ein junger Mann angefahren. Unger hieß er. Sein Name taucht auch heute noch immer mal wieder im Lidl-Umfeld auf. Er sah sich das Objekt an und schüttelte den Kopf. „Mißverständnis. Wir suchen eine Fläche von 15 bis 20 ha.“ - “Wir fuhren an die F 98 und ich zeigte ihm die Fläche zwischen der Fernstraße und der Bahntrasse,“ erzählt Hoffmann. „Ich wusste, dass es hier geklärte Eigentumsverhältnisse gibt.“ Silvester 1990/91 saßen wir beim Notar. Ende Februar hatten wir die Baugenehmigung. Heute undenkbar das eine Behörde so schnell ist.“

Anfang März rollten die Baumaschinen des Auftragnehmers aus dem Westen an. Nun gab es ein Problem: der Kaufpreis war noch nicht bezahlt und die Alteigentümer waren verunsichert, wollten sie nicht auf ihr Feld lassen. „Da habe ich sie erst einmal auf mein Feld abstellen lassen und mich ans Telefon gehängt.“ Man darf nicht vergessen: es gab noch keine Handys. Am 15. März sollte nun einer kommen und das Geld übergeben. „Ich erinnere mich noch genau. Die Alteigentümer und ich saßen im Gemeindeamt. Wir warteten und warteten. Was musste ich mir anhören. Wir wären Scharlatanen aufgesessen. Niemals kommt Lidl hier her. Schließlich kam ein Anruf aus Oschatz. Der Geldbote hatte das falsche Lampertswalde angesteuert. Mit zwei Stunden Verspätung kam er, mit großen Scheinen im Koffer. Am 15. März war dann der Baubeginn. 25 Jahre ist das jetzt her. Lidl hat viele andere nachgezogen. Wir stünden heute nicht so da. Es war eine schöne Zeit. Das ist wie in einer Ehe, wo man einen Partner verliert.“

Bürgermeister Wolfgang Hoffmann hofft auf die Zusage von Neckarsulm, die nach dem Umzug leer stehenden Hallen an einen Logistiker verkaufen zu wollen. Wenigstens ein Fünkchen Hoffnung.

Zwar haben alle 186 Mitarbeiter der Niederlassung die Zusage erhalten, nach Radeburg übernommen zu werden, aber einige aus Lampertswalde und Nachbardörfern kommende Beschäftigte sind vielleicht nicht so mobil, dass sie das Angebot annehmen können. Diese werden der Gemeindekasse zur Last fallen, wenn vor Ort keine neuen Arbeitsplätze entstehen.

In Radeburg dagegen werden, abhängig vom weiteren Wachstum des Filialnetzes, bis zu 20 neue Arbeitsplätze geschaffen.

Der Mustermarkt auf dem Lindenplatz kommt mit 45°

 

Jens Köhler, Immobilienleiter und Prokurist der Lidl Vertriebs-GmbH & Co. KG, ging anlässlich des Spatenstiches auch auf die neue „Musterfiliale“ am Lindenplatz ein. Der Filaltyp LIDL 2015 wird ein Zweigeschosser, auf zwei Seiten mit über beide Etagen reichenden Glasfassaden. Ein so genannter 45° Eingangskoffer, also etwa so eine Form, wie wir sie vom Radeburger REWE-Markt kennen, wird ins Geschäft führen. Aber anders als dort ist in diesem Bereich bereits die Leergutannahme und ein Zugang zur oberen Etage. Die Kundenströme werden ab hier bereits getrennt durch Ein- und Ausgang geführt. Daran schließt der rund 1400 m² große Verkaufsraum an. Statt bisher vier wird es fünf Gänge geben, die ca. 50 Meter lang sind. Auch hier wird ein ausgeklügeltes Kälte-Wärme-Tauschsystem für Energieeffizienz sorgen. Ein besonderer Hingucker wird der „Bake-Off“ - deutsch: „Aufback“-Bereich sein, der mit dem hinter den Regalen liegendem Vorbereitungsbereich fast 80 m² groß sein wird.

Im Erdgeschoss werden sich außer dem Verkaufsraum und dem Back-Off auch noch Lager- und Kühlräume, ein barrierefreies Kunden-WC mit Baby-Wickelplatz und der Kassenraum befinden.

Im Obergeschoss, das sich nur über dem Bereich Backshop, Pfandlager und Kassenraum erstreckt, werden Personal-, Büro-, Umkleide- und Technikräume sowie Personal-WCs untergebracht. Damit sorgt Lidl auch für beste Bedingungen für die Mitarbeiter. Diese konkreten Pläne lassen darauf schließen, dass auch hier der Spatenstich nicht mehr lange auf sich warten lässt.


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