Corona-Pandemie: Ist das Kunst, dann kann das weg?

Der Elferrat sagt – erstmals seit seiner Existenz – den gesamten Radeburger Karneval ab. Die Stadt sagt den Weihnachtsmarkt ab und nun wird auch der „Rest“ der diesjährigen BärnsDORFkonzerte abgesagt. RAZ hat mit dem Veranstalter gesprochen. Sebastian Kruhl aus Bärnsdorf ist einer, der sich in dieser besonders arg gebeutelten Kultur-Szene gut auskennt. Die Firma Kruhl Produktions-& Medientechnik GmbH hat in den letzten 15 Jahren mehr als 1000 Events in 71 Städten – von Los Angeles bis Sidney und von London bis Tokio mit Licht-, Ton- und Medientechnik ausgestattet. Dadurch hat er auch Kontakte zu weiteren Betroffenen in der „Szene“.

Söhne Mannheims Laith AL Deen

Konzerte wie der Auftritt der Söhne Mannheims in Moritzburg sind vielen Fans noch in guter Erinnerung.

RAZ: Die beiden für dieses Jahr noch geplanten Konzerte im Kulturbahnhof mussten wegen des Lock Downs abgesagt werden…

Sebastian Kruhl: Wir mussten absagen unabhängig vom Lock Down, weil das Hygienekonzept dort nur so wenige Besucher zulässt, dass sich die Konzerte nicht rechnen. Die Künstler können nach der langen Durststrecke nicht auch noch um Gehaltsverzicht gebeten werden. Das geht nicht.

Geplant waren am 21.11.20 der Nachholtermin mit Manuel Schmid und am 05.12.20 das Jahresabschlusskonzert mit Falkenberg.

RAZ: Die Bundesregierung hat doch finanzielle Unterstützung zugesagt. Das sollte man nutzen.

Sebastian Kruhl: Das ist nicht das Problem. Der größte Star könnte hier auftreten. Die Leute würden nicht kommen. Die einen sind so verängstigt, dass sie sich kaum noch aus dem Haus trauen, die anderen wollen nicht mit Masken dasitzen. Konzerte leben auch davon, dass man seinen Star feiert, laut ist, mitsingt. Ins Kulturhaus Baden Baden gehen ca. 1800 Leute. Das Hygienekonzept für ein Söhne-Mannheims-Konzert, mit denen ich dieses Jahr auf Tournee gehen wollte, sah 160 vor. Wie soll da Stimmung aufkommen? Selbst wenn es subventioniert würde – ich verstehe jeden Künstler, der sowas ablehnt. Die meisten kennen sich mit Förderrichtlinien nicht aus, geschweige mit dem Schreiben von Anträgen. Staatliche Orchester machen sowas vielleicht, weil sie wissen, wie man auch mit wenig Besuchern ans Geld kommt. Die treten in Clubs vor 30 Leuten auf und verkraften das. Aber vor allem den selbständigen Künstlern geht es nicht gut. Die, die es immerhin geschafft haben, im August Unterstützung zu beantragen, soweit ich sie kenne, haben fast alle eine Absage bekommen, weil sie nicht unter die Begünstigten fallen.

RAZ: Ist die Lage ernst, dann ist Schluss mit lustig. Dass die Konsumenten keinen Bock haben, kann man nachvollziehen. Man könnte einen bekannten Spruch abändern und sagen: Das ist bloß Kunst und kann weg. Der Freizeitsektor, der jetzt runtergefahren wird, reicht vom darstellenden Künstler über Eventagenturen, Veranstalter, Reisebüros, Galerien, Bibliotheken und Fitnessstudios bis hin zu allen, die im Umfeld tätig sind: Techniker, Köche, Kraftfahrer, Maskenbildner, Piloten… Weit über 6 Millionen Menschen verdienen in diesem Bereich ihren Lebensunterhalt – das ist jeder sechste Berufstätige.

Sebastian Kruhl: Ja. Diese Bedeutung der Branche wird unterschätzt. Viele sehen es nur aus ihrer Konsumentensicht. In Bayern wird das Oktoberfest abgesagt oder in Köln der Karneval – alle finden es in Ordnung. Kultur ist nicht so wichtig. Bei den Jazz-Tagen, eigentlich nominell eine Konzertveranstaltung, hat der Veranstalter schon im letzten Jahr gesagt: wir holen einen kontroversen politischen Redner, damit wir wenigstens mal die Hütte vollkriegen. Das war auch dieses Jahr wieder so. 200 Leute kamen zu Julia Neigel. Zu Daniele Ganser als politischem Redner kamen 700.

RAZ: Kunst und Kultur sind für Verbraucher ein KANN, kein MUSS. Erst kommt das Fressen, hat schon Bertolt Brecht recht sarkastisch gesagt. Erst kommt das Über-Lebenswichtige, dann das Wichtige, die Pflichten und dann, wenn noch was übrig ist an Ressourcen, an Zeit und Geld, dann darf Freizeit auch etwas kosten. Von dem, was dann und wirklich erst dann aufgewendet wird, lebt die Freizeitbranche, leben Kunst und Kultur…

Sebastian Kruhl: Ja und das bricht jetzt weg. Die nicht so Berühmten können dann froh sein, jemand Berümteres zu kennen. Mir bekannte wohlhabende Künstler lassen in Armut gefallene Kollegen schon mal in ihren Häusern wohnen. So sieht es aus.

RAZ: Bleiben wir mal in Radeburg. Zum Beispiel für den RCC fallen erneut Einnahmen weg, aber auch für die Caterer, die Zeltbauer, die Techniker. Von den Ausfällen des Weihnachtsmarkts sind Geschäfte und Vereine betroffen. Wenn Einnahmen aus Bratwurst- und Pfannkuchenverkauf vielleicht noch ein Zusatzgeschäft sind, so ist schon der wegfallende Einkaufsbummel für die kleinen Geschäfte in der Stadt eine Größenordnung und für den einen oder anderen ehrenamtlichen Verein ist der Verkaufsstand auf dem Weihnachtsmarkt eine wichtige, vielleicht die wichtigste Finanzierungsquelle ihres Vereinszwecks. Was bedeutet für Euch als Kruhl GmbH der Verzicht auf die zwei Konzerte?

Sebastian Kruhl: Es wird einem alles genommen. Selbst die Geschäfte, die keine waren. Mit den Söhnen Mannheims haben wir im Sommer zwar angefangen ein neues Album einzuspielen, aber es fehlen die Einnahmen aus den Konzerten. Livestreaming bringt zurzeit ein bisschen was, aber davon kann man nicht leben.

Ganz besonders ärgere ich mich darüber, wie sich der Freistaat z.B. als Ausrichter des Tages der Sachsen verhält. Die sichern sich gegen Pandemien wie Corona ab, indem sie in ihre AGB schreiben, dass sie für eine Absage der Veranstaltung keine Haftung übernehmen. Da sagen die Sender, selbst MDR: dann kommen wir nicht. Ist uns zu riskant. Wir hätten für RTL und Lokalradios wie Radio Dresden die Technik gestellt. Das Geschäft ist damit auch weg – vielleicht für immer.

Das ganze Kongress- und Messegeschäft ist zusammengebrochen. Konzerne wie Bayer haben ganze Abteilungen aufgelöst, die damit befasst waren. Da ist ein weltweites Geschäft weggebrochen.

Wir sind deswegen noch nicht in einer prekären Lage. Wir haben immer noch die Technik, die sich verkaufen lässt.

RAZ: Verkaufen hieße, dass Ihr nicht davon ausgeht, dass es nächstes Jahr wieder losgehen könnte?

Sebastian Kruhl: Was die Zukunft der Konzertszene in der Zukunft angeht, sehe ich, ehrlich gesagt, schwarz. Niemand kauft mehr im Vorfeld Karten, weil keine verlässliche Planung mehr möglich ist. Das Risiko, auf Karten sitzen zu bleiben, steigt, weil Künstler und Veranstalter pleitegehen können oder eben auch mal sterben. Oder weil es an Personal fehlt. Ich kenne viele Begleitmusiker und andere aus dem Umfeld, die sind in ihren erlernten Beruf zurück oder haben sich eine andere Arbeit gesucht. Und irgendwann kommt der Tag X, an dem die ausgefallenen Veranstaltungen alle zur selben Zeit nachgeholt werden. Wir hatten für uns hier in Radeburg Karat, Stern Meißen und City für den 22.5.21 verabredet. Nun die Absage, weil am gleichen Tag „die Rockgiganten“ nachgeholt wird, wo City  auftreten soll.
Eine ganz andere Frage ist, ob die Leute dann noch das Geld für Konzerte übrighaben. Es hat sich ja für viele vieles geändert – auch, was die geglaubte finanzielle Sicherheit angeht. Kurzarbeit für viele bedeutet auch, dass ihnen das Geld fehlt und wir wissen ja, wo zuerst die Abstriche gemacht werden. Auch andere Branchen, die wir bisher beliefert haben, trifft es hart – und viele darin eingebundene Beschäftigte. Aufgrund der fehlenden Touristen und der nicht mehr stattfindenden Tagungen sind zum Beispiel in München und Köln einige Hotels mit über 500 Betten zu und werden das auch bleiben. Dass man Tagungen auch virtuell machen kann, etabliert sich jetzt und das Fazit von Corona wird wohl sein: es ist besser, nicht so viel herumzureisen, denn dadurch verbreiten sich Viren.

RAZ: Vielen Dank für das Gespräch

Mit Sebastian Kruhl sprach Klaus Kroemke.