16 Punkte für BÄRWALDE!

„Herzlichen Glückwunsch für 16 Punkte im Gault Millau,“ sage ich zu Olav Seidel am Telefon. „Oh Danke,“ kommt freudig zurück. Darauf frage ich gleich weiter: „Aber kaufen kann man sich in diesem Jahr dafür nichts, oder?“ Olav Seidel: „Naja, im ländlichen Raum ist es sowieso schwierig mit Restaurantführern…“ Und schon sind wir im Gespräch.

Gasthof Bärwalde

Gasthof Bärwalde - ländlich und dezentral, aber bekannt und beliebt bei Feinschmeckern.

Seit Ende der 60er Jahre ist „der Gault-Millau“ neben dem „Michelin“ DER Restaurantführer für Spitzengastronomie. Der Titel setzt sich zusammen aus den Nachnamen der „Erfinder“, Henri Gault und Christian Millau, inzwischen ist daraus ein Imperium geworden mit relativ eigenständigen Verlagen in vielen Ländern. Seit 1983 gibt es eine Deutschlandausgabe und seit 2016 der Gasthof Bärwalde – nach Einschätzung der Tester – bei den „500 besten Restaurants Deutschlands“ dabei. Schon damals hatte ich ihn ausgefragt, wie sehr man sich dafür „anstrengen“ müsse,

in dieses Buch zu kommen. An seiner Meinung hat er nichts geändert. Er „strengt“ sich an, seinen Gästen ein handwerklich gut gemachtes Menü zuzubereiten, aber nicht, um damit in Gästeführer zu kommen. Umso überraschender ist es, dass er trotzdem „drin“ ist. Zumindest was Sachsen angeht, habe ich relativ schnell den Überblick: Der Gasthof Bärwalde ist unter den neun sächsischen Häusern der einzige Dorfgasthof, der es auf die Liste der Edelgastronomie geschafft hat.
Und schon ist da wieder ein Begriff, der dem Chef des Hauses gar nicht zusagt. Die, die danach streben, in solchen Büchern zu stehen, verfolgen meist ein anderes Konzept.

Ich versuche einen Vergleich mit bildenden Künstlern. „Da gibt es zwei Arten. Die einen malen im Auftrag, so wie der Auftraggeber es gern hätte, eine Unterart malt so, wie er meint, den Geschmack des Publikums zu treffen, um seine Werke zu verkaufen. Die andere Art malt, was und wie es ihnen ihr eigenes Herz sagt und nimmt in Kauf, das es schwierig ist davon zu leben. Mit der Kochkunst ist es eben genau so. Aber die werden dann meistens erst nach dem Ableben berühmt!“ Wir lachen beide.

Wir sind uns schnell einig, dass Kochkunst, wie er sie versteht, möglichst frei von wirtschaftlichen Zwängen sein sollte. Dass dies ein Risiko ist – dessen war er sich von Anfang an bewusst, aber er hat sich ihm gestellt und es hat funktioniert. Im Laufe der Zeit hatte er seine „Fans“. Gäste, denen es bei ihm schmeckt und die seine Art zu kochen und den Aufwand, den er betreibt, zu schätzen wissen und deshalb immer wieder kommen. Es sind nicht die Leute, die fragen: wo finde ich denn das Schnitzel auf der Karte oder die Roulade? Und auch nicht die, die meinen, dass es, wenn es hochpreisig ist, dann automatisch auch „Spitzengastronomie“ ist. Nein. Fans sind die – der Schwabe würde sagen „‘s koscht was koscht“ – die einen fair kalkulierten Preis akzeptieren, mit dem Gast UND Gastronom leben können. Von  der „Tester-Konkurrenz“ bekam der Gasthof Bärwalde übrigens ein „Michelin-Männchen“ für „das beste Preis-Leistungsverhältnis“.

Für die also, die das zu schätzen wissen, steht mit dem altdeutschen Windofen eine Art „Molteni-Herd“ in der Küche, der ein „Muss“ für jeden anspruchsvollen Koch gilt.  Auf diesem „schmort Olav Seidel Geflügel, Schwein und Rind virtuos über offenem Holzfeuer,“ schreibt der Restauranttester. „Seidel verarbeitet gern hochwertige regionale Produkte, etwa Filets und "sächsisches Sashimi" aus der benachbarten Schönfelder Forellenzucht,“ heißt es weiter und verwiesen wird auch auf den eigenen Garten, aus dem viele der verwendeten Kräuter sind. „Für Saucen möchte man sich den Gourmetlöffel reichen lassen,“ schwärmt er weiter und offenbart am Schluss, dass das „Wirtsehepaar“ sein Handwerk im badischen „Schwarzen Adler“ erlernt hat, denn nicht nur die von “in Oberberen geprägte Weinkarte“ verweist auf die kulinarische Herkunft, sondern „selbst das süße Finale, ein Löwenzahnblüten-Joghurt-Sorbet, belebte Manuela Seidel als Patissière des Hauses mit einem Mirabellen-Kirsch-Edelbrand vom Kaiserstuhl.“

Und nun komme ich zwangsläufig auf die Frage vom Anfang zurück: was kann man sich von solchen Ehren in DIESEM Jahr kaufen? Eher weniger als von der staatlichen Unterstützung, oder?

„Ja, die eine oder andere Unterstützung beantragen wir,“ bestätigt Olav Seidel. „Es geht momentan nicht anders. Viele Gaststätten stellen auf Lieferservice um. Wenn man das Umfeld hat, ist das ok., wenn die Stammgäste aber aus einem viel größeren Radius kommen, dann lohnt es sich nicht.“
Trotzdem sind die beiden nicht untätig. Vieles, was „auf die lange Bank geschoben war“ konnte jetzt erledigt werden. Reparaturen am Haus zum Beispiel., oder die Fertigstellung unserer Internetseite. Aber es war auch Zeit, mal am Konzept zu feilen. Es ist ja nicht so, dass man den Stammgästen immer das gleiche vorsetzen möchte. „Die fragen dann auch mal, wie es denn mit Kaviar oder mit Hummer wäre. Jetzt ist Zeit zum Experimentieren und sich weiterzuentwickeln,“ erklärt der Gastwirt die Situation aus seiner Sicht. „Wir wissen nicht, was nächstes Jahr kommt, aber wir wollen uns auch nicht mit der Ungewissheit belasten, sondern gehen davon aus, dass es nächstes Jahr weiter geht. Wir sind in Kontakt mit Künstlern, die ja in einer ähnlichen Situation sind wie wir. Das Beethoven-Jahr 2020 ist ja komplett ausgefallen. Jetzt tauschen wir uns zu neuen Konzertprogrammen aus, sie schicken Musikproben. Also wir haben haben schon Pläne für 2021.“

Das Gespräch führte Klaus Kroemke