Radeburger Agrargenossenschaft: Ein Geradliniger tritt aus der Spur

Am 30. März wurde Rüdiger Stannek 66 und sagte: es reicht nun! Der in Röglitz bei Halle geborene Diplom-Agraringenieur gab am Montag, dem 4. April, im Radeburger Hof einen großen Ausstand als Vorsitzender der Agrargenossenschaft Radeburg, zu dem er Weggefährten aus seinem fast 50jährigen Berufsleben eingeladen hatte. 35 Jahre davon wirkte er als Genossenschaftsvorsitzender in Radeburg.

Gerhard Förster, Rüdiger Stannek und Dr. Günther Drobisch

Gerhard Förster, Vorsitzender des Regional-Bauernverbandes Elbtal/Röder und Dr. Günther Drobisch, Geschäftsführer des Sächsischen Geflügelwirtschaftsverbandes gehörten zu den Gratulanten bei Rüdiger Stanneks Ausstand.

Er legte eine Kontinuität hin, wie sie selten ist. Wahrscheinlich war es seine ruhige, ausgeglichene und beherrschte Art, die das Arbeiten mit ihm angenehm machte. Selbst wenn man ihn darauf anspricht, wiegelt er ab: „Mein Glück ist, dass ich solche Mitstreiter hatte.“ Die er damit meinte, füllten den ganzen Saal im Radeburger Hof. Aber selbst von denen nur wenige wissen, dass er auch mal laut werden konnte. Dafür reichen in fünfzig Jahren aber wahrscheinlich zwei Hände.

Einmal war das ganz am Anfang seiner Arbeit als LPG-Vorsitzender. Nach seinem Studium an der Uni in Leipzig kam Rüdiger Stannek 1976 zur LPG (T) nach Langebrück. Es war die Zeit, in der aus den kleinen LPGen der Typen I bis III Großbetriebe wurden. Die der Tierproduktion – genannt LPG(T) – und die der Pflanzenproduktion – genannt LPG(P).

Die „Pflanze“ Radeburg galt als widerspenstig. Rüdiger Stannek bezog sein Büro im Gasthof Bärwalde und verschaffte sich von Anfang an Respekt, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug und ausrief: „Ihr habt mich geholt, jetzt müsst ihr auch auf mich hören. Sonst muss ich wieder gehen!“ Das war das eine Mal, wo er bekanntermaßen laut wurde. Nein. Gehen musste er nicht, denn eine Bauernweisheit besagt: „Was man hat, weiß man, was man bekommt, weiß man nicht.“

Und sie hatten etwas an ihm. Denn während in der Wendezeit anderswo die Fetzen flogen, blieb Rüdiger Stannek der Fels in der Brandung. Am 1.1.1992 wurde die LPG (P) Radeburg in die Agrargenossenschaft Radeburg umgewandelt. Damit wurde die Rechtsform dem Bürgerlichen Gesetzbuch angepasst. Deutlich turbulenter ging die Umwandlung in der LPG Tierproduktion „Rudolf Hable“ Radeburg vonstatten. Diese war schon in die Händen eines „Investors“ aus den alten Ländern gefallen, das Personal war gekündigt, die Vieh verkauft. Alles schien verloren, aber im letzten Moment setzten sich die Bauern, unterstützt von Stannek zur Wehr. In zwei Vollversammlungen auf dem Hirsch wurde der Investor und die diskreditierte LPG-Führung vor die Tür gesetzt. Buchstäblich in letzter Minute, am 28.12.1991, war Stannek mit dem neugewählten Vorstand der LPG(T) beim Notar, um die erfolgreiche Umwandlung anzumelden. Letzter Termin war der 31.12.! Die umgewandelten LPGen, nun Agrargenossenschaft Radeburg eG und Radeburger Tierproduktionsgenossenschaft arbeiteten bis 1995 Hand in Hand. Sie hatten mit Stannek einen gemeinsamen Vorstandschef. 1995 kam es zur Verschmelzung der beiden. Dazu kam die Vermögensverwaltungs GmbH Reichenberg, hervorgegangen aus der LPG „Sonnenland“ Reichenberg. 2011 stieg die Agrargenossenschaft Radeburg als Gesellschafter in das Agrarcentrum Grünberg ein, welches in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte. Seitdem wird die Landwirtschaft in Grünberg gemeinsam betrieben. Ziel war die Rettung vor dem Zusammenbruch, und der Erhalt aller Arbeitsplätze. Radeburg hat geholfen, wo andere heimlich den Zusammenbruch abwarteten, um sich die Flächen anzueignen. Das Genossenschaftsprinzip wurde erhalten bzw. wieder aufgenommen.

29 Genossenschaftsmitglieder sind es derzeit und 56 Mitarbeiter werden beschäftigt, darunter 8 Lehrlinge. Über 2000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche und 68 ha Forstfläche bewirtschaftet die Agrargenossenschaft. Davon sind 750 ha eigene Flächen, der größere Teil aber Pachtflächen, zum Teil von Mitgliedern der Genossenschaft. In den Ställen stehen 485 Milchkühe und 505 Jungrinder.  Die Agrargenossenschaft Radeburg zählt zu den Betrieben mit den besten Milchleistungen in Sachsen. Im Jahr 2007 wurde sie mit dem „Weißen Band der Milchelite“ ausgezeichnet – eine Ehrung, die erhält, wer fünf Jahre hintereinander den Großen Preis der Milcherzeuger erhalten hat. Die Milch erreichte beständig die Güteklasse 1, mit überdurchschnittlichen Fett- und Eiweiserträgen.

Der Geschäftssitz wurde 2000 nach Großdittmannsdorf verlegt, da beim Rittergut am Hofwall, dem Geschäftssitz der ehemaligen LPG(T) und späterem gemeinsamen Sitz, unklare Vermögensverhältnisse eine Weiterentwicklung unsicher machten. An den Umzug erinnert sich Christian Creutz. Er war bis zum 31.12.1998, bis zum Zusammenschluss mit Radeburg, Bürgermeister von Großdittmannsdorf, seit dem gemeinsam mit Stannek Radeburger Stadtrat und ebenfalls einer der Gäste beim Ausstand. „Die Zusammenarbeit mit Rüdiger Stannek war durch ein wohlwollendes, manchmal auch kritisches Miteinander geprägt,“ schätzt Creutz ein. „Immerhin war die Agrargenossenschaft der größte Betrieb im Dorf.“

Thematisiert wurden vor allem Gerüche aufgrund der Tierproduktion mitten im Ort. Manche „Stadtflüchter“ hatten ein Problem mit der „frischen Landluft“.

Creutz schätzt jedoch ein, dass es gelungen ist, die Emissionen in Grenzen zu halten, nicht zuletzt durch die Investition in eine Biogasanlage. Seit 4 Jahren profitieren ca. 30 Grundstücke in Großdittmannsdorf von der Versorgung mit günstiger Fernwärme. Die Genossenschaft übernahm das kostenlose Verlegen der Fernwärmeleitungen bis an die Grundstücke. Auch der Kindergarten wurde mit angeschlossen.

Stanneks akademischer Bildung ist es zu verdanken, dass er wichtige Dinge mit wissenschaftlicher Nüchternheit betrachtet. Deshalb sieht er in der Biogasanlage sehr wohl einen Nutzen, wenn es um die Beseitigung von Stalldung und Produktionsabfällen geht, weniger aber wenn es darum geht, landwirtschaftliche Nutzfläche in einen Wettbewerb zwischen Nahrung und Energie treten zu lassen. „In die Biogasanlage kommt nur, was sich anderweitig nicht mehr verwerten lässt, darauf legen wir ganz großen Wert,“ sagt Rüdiger Stannek.

Bekannt ist er unter Berufskollegen auch für seinen maßvollen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln. Einer der Ausstands-Gäste war Uwe Unglaube. In der LPG „groß geworden“ wurde er Berater bei Bayer CropScience, blieb aber als Spezialist auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes der vielleicht wichtigste Ratgeber. „Wenn das Vertrauensverhältnis da ist, dann ist man sich sicher, dass da einer nichts verkaufen will um nur sein Geschäft zu machen, sondern dass da verlässliche Produkte geliefert werden und zum Einsatz kommen,“ sagt Stannek.

In die Schlagzeilen geriet seine Agrargenossenschaft 2007, als der Anbau von Genmais MON 810 und MON 863 zum großen öffentlichen Thema wurde (RAZ berichtete mehrfach). Zu dem heute verbotenen Anbau steht er nach wie vor und verweist auf die Studien des unabhängigen, staatlich finanzierten Robert Koch Instituts. Aus seiner Sicht überwiegen die Vorteile für Mensch, Tier und Umwelt, weil weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssen. Das überwiegt die Nachteile, die nach seiner Überzeugung überwiegend nicht belegbar sind. Auch in dieser Frage bleibt er geradlinig und Geradlinigkeit könnte man überhaupt als sein Markenzeichen sehen, auch in seinem politischen Leben.

Aus der LPG wurde die Agrargenossenschaft. Aus der SED wurde die PDS und schließlich DIE LINKE. Aus dem Kreis Dresden Land wurde der Landkreis Dresden und schließlich der Kreis Meißen. Aus der Stadtverordnetenversammlung wurde der Stadtrat. Was gleich blieb war Rüdiger Stannek. Er blieb hier Vorsitzender, da Parteimitglied, Abgeordneter in der Stadt, Abgeordneter im Kreistag.

Bei den Wahlen zum Stadtrat holte er die zweitmeisten Stimmen nach Christian Damme (CDU) – und das in einer konservativen Hochburg. Bei den Wahlen zum Kreistag holte er den einzigen Sitz für Radeburg. Wie in der „großen“ Politik ein Winfried Kretschmann vor allem wegen seiner Persönlichkeit gewählt wird, scheint es bei Rüdiger Stannek ganz ähnlich zu sein. Er konnte Radeburger Stimmen überparteilich auf sich vereinen, weil man ihm als Person wohl am ehesten zutraute, Radeburger Interessen über Parteiinteressen zu stellen.

So hatte er auch keinen geringen Anteil daran, dass im Radeburger Stadtrat der Wendezeit von Anfang an der Nutzen für die Stadt mehr zählte als Parteiengezänk, dass es keine Profilierungssucht gab und kein Parteisoldatentum. Was auch geschah, was ihm widerfuhr – immer strahlte Rüdiger Stannek die für ihn typische Ruhe und Gelassenheit aus. Er arbeitete ohne viel Wind und ohne lautes Geklapper. Ergebnisorientiert.

Vor einem Monat erhielt Rüdiger Stannek den Erhard-Braune-Tierzuchtpreis. Um die Laudatio wurde Bürgermeisterin Michaela Ritter gebeten und kam auch auf die Politik zu sprechen, eine der Beschäftigungen, für die er einen Großteil seiner Freizeit opfere. „Als langjähriges Mitglied des Radeburger Stadtrates sind Sie quasi ein Urgestein und überall bekannt wie der berühmte bunte Hund,“ sagte sie. „Ihre Entscheidungen haben immer Gewicht, egal ob es um soziale oder bauliche Fragen, um Entscheidungen zum Haushalt oder die Zusammensetzung der Ausschüsse geht. Bei scheinbar festgefahrenen Debatten und unlösbaren Problemen haben Sie eine Lösung parat. In schlimmen Fällen agieren Sie als Mediator.“

Stannek ließ sich politisch nie aus der Reserve locken. Christian Damme, seit der Wende stellvertretender Bürgermeister, ebenfalls allseits beliebt und hoch geschätzt, ebenfalls Landwirt, allerdings Wiedereinrichter, hat das hin und wieder versucht. Meist ging es um Vergangenheitsbewältigung oder um Positionen der Genossen in Berlin, für die Rüdiger Stannek gerade stehen sollte. Stannek pflegte das mit einem Lächeln zu quittieren oder mit einer Bemerkung wie: „Das ist aber jetzt hier nicht das Thema.“ Die beiden „Fraktionsspitzen“ waren gelegentlich kontrovers, blieben aber immer fair im Umgang miteinander und sind gerade in der heutigen Zeit Vorbild darin, wie es eigentlich gehen kann.

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