Heinrich-Zille-Oberschule: Tutanchamun – das Kind an der Macht

In ihrer Pressemitteilung hatten die Macher von Semmel Exhibition angekündigt, dass sie mit 100 000 Besuchern bei Tutanchamun in der „Zeitenströmung” in Dresden rechnen. 6 Millionen hatten die Schau an 20 Standorten schon zuvor gesehen. Also es musste was Spannendes sein. In Dresden wurden gegen Ende der Schulferien zwei Dinge knapp: Tickets und die Restdauer der Schau.

Schüler der 6c an dem goldenen Sarg des Tut.

Schüler der 6c an dem goldenen Sarg des Tut.

Hoch erfreut nahm ich deshalb die Einladung der Klasse 6c der Zilleschule an, gemeinsam mit ihnen die Tutanchamun-Ausstellung in der „Zeitenströmung” in Dresden anzuschauen.

So richtig konnte ich mir gar nicht vorstellen, was das bringen soll, denn es sollten ja keine Originale gezeigt werden, sondern nur Kopien. Und was sollte da für Kinder spannend sein, wenn sie sich Grabkammern, Mumien und Särge angucken?

Immerhin war ein Anknüpfungspunkt, dass Tutanchamun wahrscheinlich bereits mit 11, 12 Jahren König war, also etwa in dem Alter „meiner” 6c. „Kinder an die Macht,” fordert Herbert Grönemeyer fröhlich in einem seiner Lieder. Da gibt’s ein Leben lang Erdbeereis und dem Trübsinn ein Ende. Über Erwachsene heißt es bei ihm: „Wir werden in Grund und Boden gelacht!”

War das in Ägypten so während der Herrschaft von „Tut”?

Zunächst einmal wurde „uns” der Zahn gezogen, dass hier viel gelacht werden kann. „Das ist nämlich eine Flüsterausstellung”, erklärte uns Yvonne vom Besucherservice. Doch die Ermahnung war fast unnötig, denn es gab erstens Kopfhörer und einen digitalen Kinder-Ausstellungsführer und zweitens, spätestens beim Blick in die erste Grabkammer war eh jede zweite Kinnlade nach unten geklappt.

Die Semmels hatten nicht einfach eine museale Schau mit multimedialen Hilfsmitteln installiert, sondern eine Ausstellungs-Inszenierung. Schon bei der langjährigen, ruinösen, schon fast verzweifelten Suche nach dem großen Schatz waren die Schüler in den Bann gezogen. Wer möchte nicht Schatzsucher sein? Und dann der historische Moment: der erste Blick durch den kleinen Spalt, hinter dem Schätze in einem Ausmaß lagen, die man sich kaum vorstellen konnte – noch nicht einmal heute, jetzt, da man zwar schon davon gehört, aber noch nichts gesehen hat...

Und schon öffnete sich der Vorhang und die Besucher wurden eingeladen, mit der Zeitreise zu beginnen und im Jahr 1922 gemeinsam mit dem britischen Archäologen Howard Carter die erste Kammer, die Vorkammer zu betreten.

Erst flimmerte nur die filmische Dokumentation aus den 1920er Jahren auf transparentem Vorhang und was man sah mochte etwa aussehen wie bei den Flodders, aber dann hob sich der Vorhang und man schaute in die Kammer, wie sie Carter vor 92 Jahren angetroffen hatte. Erst nach und nach, wenn das Gold aufhört, das Auge zu blenden, werden die Details sichtbar. Der Streitwagen, die Hyänen, die goldenen Wagenräder, Tische, Stühle, Liegen, Töpfe, Krüge, Büsten, Schatztruhen, zwei schwarz-goldene Figuren, die ein Wächter sein könnten...

Und schließlich gelangten wir in die wichtigste Kammer. Wieder durften wir der filmischen Doku beiwohnen. Es war wie das Auspacken eines eindeutig zu groß geratenen Weihnachtspaketes. In der Kammer stand eine reich verzierte und mit Hieroglyphen beschriftete goldene Kiste. Allein über die Bedeutung der Inschriften könnte man sich inzwischen stundenlange Vorträge anhören. Aber erst einmal viel spannender war, was man in der Kiste wohl vorfinden würde. Darin fand man... eine reich verzierte und mit Hieroglyphen beschriftete goldene Kiste, über deren Bedeutung man sich wiederum stundenlange Vorträge anhören könnte. Aber erst einmal viel spannender war, was man nun in dieser Kiste wohl vorfinden würde. Darin fand man... eine dritte, reich verzierte und mit Hieroglyphen beschriftete goldene Kiste, über deren Bedeutung... Naja. Aber was würde nun in dieser Kiste sein? Richtig! Wieder eine Kiste. Man sagt übrigens nicht Kiste zu den Dingern sondern Schrein. Und zur letzten Kiste, die komischerweise nicht aus blattgoldbedecktem Holz war, sagt man Sarkophag. Sarkophage sind im Gegensatz zu Särgen nicht aus Holz, sondern aus beständigerem Material. Aus Stein zum Beispiel. Dieser hier war aus gelbem Quarzit und mit einem Granit-Deckel verschlossen. Besonders markant die vier Göttinnen, die den Sarkophag umschließen und zu schützen scheinen.

Aber das Auspacken war an dieser Stelle noch nicht zu Ende, denn im Sarkophag war noch immer nicht die Mumie zu entdecken – also ganz anders, viel komplizierter als in „Fluch de Pharao” oder in „Eine Mumie kehrt zurück”. Denn wie in einer Matrjoschka waren noch einmal drei ineinander steckende Särge zu überwinden. Eine Aufgabe, die nicht an einem Weihnachtsabend zu erledigen war. Bis in den Oktober 1925 dauerte es, also fast drei Jahre, ehe Carter endlich den innersten Deckel heben konnte und an die Mumie gelangte. Jetzt sah er zum ersten Mal die goldene Totenmaske, die für das Ausstellungsplakat verwendet wurde.

Für uns als Ausstellungsbesucher war nun der Weg frei, die Entdeckungen, auch die einer dritten Kammer, der Schatzkammer, in allen Einzelheiten in Augenschein zu nehmen. Die mit Schätzen gefüllten Kisten und Truhen öffnen sich, Preziosen, Geschmeide, Amulette und goldene Figuren können in allen Einzelheiten betrachtet werden – und von wegen „nur Kopien”: Es ist ja nicht wie das Abschreiben einer Arbeit vom Banknachbarn. Die Objekte für die Ausstellung wurden in Ägypten von einheimischen Künstlern in enger Zusammenarbeit mit Ägyptologen hergestellt – wie zu Zeiten der Pharaonen natürlich alles in Handarbeit. Nur beim Einsatz von Materialien war es nötig, Kompromisse einzugehen: Die Replik des 110 Kilogramm schweren inneren Goldsargs wie das Original aus massivem Gold herzustellen, wäre unbezahlbar gewesen. Dies gilt auch für die Maske und weitere Objekte: ihre prunkvoll wirkenden Nachbildungen wurden aus Kupfer gefertigt, das mit Gold beschichtet wurde. Auf diese Weise erhielten die Objekte eine Detailfülle, die es nicht nur uns ermöglicht, von den Stücken fasziniert zu sein, sondern auch für die Forscher annähernd den gleichen Nutzen bringen wie die Forschung an den Originalen, denen so eine unnötige Abnutzung erspart bleibt.

Erst nach dem Ende der Ausstellung und dem Absetzen der Kopfhörer wurden die kleinen Königskinder wieder „echte” Kinder und entsprechend laut, was zur Ermahnung durch das Personal führte. Die Ursache dafür war das lange Warten am Ausgang. Und hier ist der einzige Kritikpunkt: die Örtlichkeiten, die selbst Pharaonen zu Fuß aufsuchen müssen, befanden sich diagonal entgegensetzt vom Ausgang, so dass zum Aufsuchen derselben noch einmal die halbe Klasse quer durch die 2000 m² große Halle laufen musste und die anderen kaum länger ruhigzustellen waren. Schließlich kann man die ja nicht alle kurz mal einpuppen und Bewegungsdrang ist bei gesunden Kindern nun mal da...

Mit dem Kind an der Macht war das ja dann auch nicht so wirklich erdbeereismäßig. Der arme Tut war zwar König, aber machen musste er wahrscheinlich, was seine Mutter ihm sagte oder vielleicht die Priester, die Lehrer. Das ist doch eher uncool. Aber gut zu wissen: es war früher auch nicht anders.

Wie auch immer. Wir haben eine faszinierende Schau gesehen, die vor uns schon 6 Millionen andere gesehen hatten. In Dresden kamen 150 000 dazu. Also selbst die Veranstalter-Erwartungen wurden am Ende übertroffen und bei weitem nicht alle, die Karten wollten, haben noch welche bekommen. Also gehören wir jetzt zu einer kleinen Kenner-Elite, denn so schnell gibt es die Gelegenheit nicht mehr, diese einmalige Schau zu sehen. Die Ausstellung wechselt jetzt nach Graz in Österreich und ob und wann sie nochmals in Deutschland zu sehen ist, konnte auch Nina Rauscher, Pressesprecherin des Veranstalters, zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen. Nur so viel: in Dresden in der „Zeitenströmung” an der Königsbrücker Straße wird es im Herbst eine neue, spannende Schau geben. „Was genau ist noch unscharf,” heißt es von den Machern. Die dann 7c würde bestimmt wieder hingehen, wenn es genauso spannend ist.

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