Hat Radeburg den Zille-Geburtstag verschlafen? - Ein Kommentar zum Zillejahr.

Ich hatte die Ehre, unsere Bürgermeisterin Michaela Ritter, die Leiterin des Radeburger Heimatmuseums, Kerstin Hartmann, und den Initiator des Zille-Stammtisches, Burghardt Wilbat, am 10. Januar nach Berlin zu begleiten. Wir folgten einer Einladung des Zillemuseums, in dem anlässlich des auf diesen Tag fallenden Geburtstages von Heinrich Zille das „Zille-Jahr“ eröffnet wurde.

Hein-Jörg Preetz-Zille, Zilledarsteller Albrecht Hoffmann mit Schipsbogen, Bürgermeisterin Michaela Ritter und "Nachtwächter" Burkhard Bilbat

Bild links: Urenkel Hein-Jörg Preetz-Zille (am Rednerpult) freut sich über zahlreichen Besuch zum Geburtstag seines Vorfahren. In der ersten Reihe v.r. Schirmherr Nero Brandenburg, Kultursenator Klaus Lederer und Walter Plathe, in der zweiten Reihe die Radeburger Delegation. Bild rechts: Zilledarsteller Albrecht Hoffmann mit Schwipsbogen, Bürgermeisterin Michaela Ritter und "Nachtwächter" Burghard Wilbat.

Auf der Fahrt zum Museum im Nikolaiviertel führte uns das Navi über den Alexanderplatz und einmal komplett um das Rote Rathaus, das sich ganz in der Nähe befindet.

Diese räumliche Nähe kam Eröffnungsredner Walter Plathe nicht umhin zu erwähnen, da es trotzdem keine „gefühlte“ Nähe gibt, denn der Senat unterstützt das Museum nicht und Plathe musste dem Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) schon sehr sehr ins Gewissen reden, damit er sich wenigstens bemüht, für ein paar Grußworte die 100 Meter über die Straße zu kommen.

Geld wollte er auch in seiner Rede, in der er das bunte Berlin direkt aus Zilles Bildern ableitete, trotzdem nicht versprechen, was er in die Worte kleidete: „Darüber können wir durchaus reden“. Ein Senat, der gemeinsam mit der Regierung des Landes Brandenburg 13 Millionen Euro monatlich für die Instandhaltung(!) der Betonleiche BER aufbringen muss, hat keine tausend Euro über, um dem Ehrenbürger der Stadt auch wirklich Ehre zu erweisen. Vielleicht dreißig Museen in ähnlicher finanzieller Lage gibt es in Berlin, wie die Anna-Seghers-Gedenkstätte, das Käthe-Kollwitz-Museum, das Jüdische Museum, das Blindenmuseum oder das Liebermannhaus, die alle nur durch private Initiativen tragen und durch Eintrittsgelder, Spenden und über Veranstaltungen am Leben erhalten werden.

Zum Glück gibt es Leute wie Walter Plathe. Inzwischen selbst zu einem stattlichen Zille-Darsteller geworden, bietet er Zille-Stadtführungen durch das „wahre Berlin“ an. Die Einnahmen der Führungen spendet er komplett für den Heinrich-Zille-Freundeskreis e.V., der seit der Eröffnung 2002 Träger des Museums ist.

Dafür dankte Urenkel Hein-Jörg Preetz-Zille in seinem Redebeitrag ausdrücklich, der sich diesmal als Sprecher für das gesamte „Ur-Werk“ verstand, das mit angereist war: sein Sohn und sein Enkel sind ja nun die Ururenkel und Urururenkel vom Pinselheinrich.

Preetz-Zille ist ebenso dankbar für jegliches Interesse, das die Geburtsstadt Radeburg für den Urgroßvater zu erkennen gibt.

Deshalb war er zur Einweihung des 1. Heinrich-Zille-Weihnachtsmarkts am 6. Dezember 2002 in Radeburg, als die „Zille-Figuren“ von Alfred Werker präsentiert wurden und hat auch später Radeburg bei jeder sich bietenden Gelegenheit besucht. Er konnte nicht umhin festzustellen, dass Zille in Radeburg dermaßen präsent ist, dass man die Stadt auch „Zilleburg“ nennen könnte.

Bürgermeisterin Michaela Ritter bestätigte das in ihrem Redebeitrag, indem sie die Besucher auf eine gedankliche Reise mit nach Radeburg nahm „die sie bestimmt alle bald mal machen werden. Wenn Sie von Berlin kommen, wenige Kilometer vor der Autobahnabfahrt kündigt ein Schild an ‚Zillestadt Radeburg‘. Wenn Sie dann von der Autobahn abfahren in Richtung Innenstadt, kommen sie auf die Heinrich-Zille-Straße, in der sich nicht nur das Rathaus befindet, sondern in der Nummer 11 auch das Heimatmuseum mit der Zilleausstellung. Das Museum bauen wir gerade um und unser Plan ist: im Sommer soll die Wiedereröffung ganz im Zeichen des heute beginnenden Zillejahrs stehen. Wenige Meter weiter befindet sich das Geburtshaus von Heinrich Zille und wenn wir über das Zentrum hinaus auf den Meißner Berg fahren, kommen wir zur Grundschule, wo es die Zille-Kids gibt. Das ist der Schulhort. Vom Meißner Berg zurück kommen wir durch den Heinrich-Zille-Hain mit dem Heinrich-Zille-Denkmal und weiter geht es zu unserer Oberschule, die natürlich Heinrich-Zille-Schule heißt. Neben der Schule befindet sich der Schulclub, der heißt Zille-Bunker, und vor der Schule steht natürlich eine Zille-Plastik...“ Es ist der Entwurf zu jenem berühmten Bronzestandbild von Professor Heinrich Drake, das in Berlin-Mitte in der Nähe des Märkischen Museums steht. Professor Drake war ebenso wie Zille Mitglied der Akademie der Künste – Zille seit 1924, Drake seit 1954. Die Bürgermeisterin hätte sogar noch mehr „Zille in Radeburg“ nennen können – zum Beispiel das Zille-Graffiti im Mühlengässchen, die Zille-Butzenscheiben im ehemaligen Ratskeller, den jährlich stattfindenden Heinrich-Zille-Lauf, die Zille-Kampfbahn im neuen Sportzentrum, den Zilleradweg, der Radeburg mit dem Elberadweg verbindet, von dem aus man via Wittenberg und „Europradweg 1“ direkt zum Zillemuseum radeln kann – und sicher fällt mir jetzt auch nicht alles ein. Natürlich geht manche Tradition auch verloren. Das ist unvermeidlich. Die Verwandtschaft der Radeburger Mentalität, die sich im Karneval ebenso spiegelt wie im Humor Heinrich Zilles hatte eine „Ansichtskarte“ des DDR-Fernsehens wunderbar herausgearbeitet. Damals gab es aber noch den „Zilleball“. Mangels Interesse beim Radeburger Publikum stellte der Carnevals-Club seine Bemühungen um den Erhalt des Formates ein. Stattdessen gab es am letzten Wochenende „Rockfasching“ - passt natürlich auch irgendwie zu Zille, zumindest, wenn man ihn auf Röcke bezieht.

Einen ganz anderen Eindruck von Radeburg hatte ein gewisser Ralf Richter, der seine Googleergebnisse und einen Anruf beim Bauamt in einem Beitrag für die „Junge Welt“ unter dem Titel „Radeburg verschläft Zille-Geburtstag“ zusammenfasste.

Schon im ersten Absatz ist jeder Satz zu beanstanden und man möchte eigentlich nicht weiterlesen.

„Das kann kein Zufall sein: Stolz verkündet Radeburg auf seiner Homepage »Schlafmützenball am 20. Januar ausverkauft«.“ Reality Check: auf der Homepage von Radeburg steht vom Schlafmützenball gar nichts und falls sich wer „vergoogelt“ hätte und wäre auf einer RCC-Seite gelandet, auf der etwas vom ausverkauften Schlafmützenball steht – aber auch nicht, dass man über den Ausverkauf stolz ist. Da die Überschrift sonst nicht passte, wurde eben der Inhalt passend gemacht.

„Die sächsische Kleinstadt (unweit von Dresden) begreift sich als »Zille-Stadt«, weil der berühmte »Milljöh«-Zeichner dort geboren wurde.“ Der Satz ist zumindest fast richtig, nur das Wort „begreift“ ist etwas ausdrucksschwach. Hätte die Deutschlehrerin sicher angekreidet, denn es passt zum übrigen Kontext nicht, der eher zum Ausdruck bringt, dass sich Radeburg eben nicht begreift.

„Aber von diesem Geburtstag bekommen die Radeberger nichts mit,“ schreibt er weiter – womit erwiesen ist, dass man sein Bier erst nach der Arbeit trinken sollte. Man könnte auch zurückfragen: was geht das die Radeberger an?

Und im letzten Satz des ersten Absatzes schließlich läutet (!?) die Bürgermeisterin von Radeburg gemeinsam mit Zille-Preetz im Berliner Zillemuseum das Zillejahr ein. Also die Gäste werden zum Veranstalter gemacht.

Trotzdem wollen wir es mit Konfuzius halten (hab ich gegoogelt), von dem der Spruch stammt „In jeder Lüge steckt ein Körnchen Wahrheit.“

Dazu trägt der nächste Absatz des Fake-Artikels aber auch nicht so viel bei, da er aus lauter HÄTTE-Sätzen besteht. Radeburg HÄTTE im Heimatmuseum den Zillefilm mit Kurt Böwe zeigen können. Museum ist wegen Umbau leider geschlossen, HÄTTE aber zum Zillegeburtstag wieder eröffnet werden können, wenn man den Fertigstellungstermin HÄTTE halten können und laut Bauamtsauskunft HÄTTE man das schaffen können, HÄTTE die Bürgermeisterin Druck gemacht.

„Wer auf der städtischen Homepage wissen möchte, »wieviel Zille Radeburg bietet«, der wird mit einem Link auf die MDR-Mediathek verwiesen. Im Rathaus scheint man schon lange nicht mehr draufgeklickt zu haben: »Seite nicht gefunden« heißt es, wenn man es versucht.“

Möglicherweise hat der Indoor-Journalist eine neue Methode beim Googeln erfunden, denn es ist mir auch mit anderen technischen Hilfsmitteln (z.B. mit validator.w3.org - kann jedermann durch bloße Eingabe der Webadresse jede beliebige Webseite auf tote Links überprüfen) nicht gelungen, auf der Radeburgseite einen Link zu finden, der auf einen gelöschten Beitrag in der MDR-Mediathek verweist. Auch auf der RCC-Seite führte der Check nicht zu „Seite nicht gefunden" .

Auf Radeburg.de gibt es allerdings schon auf der Startseite nicht nur das Logo der Zillestadt mit dem Konterfei des Künstlers, sondern in der Link-Spalte sogar einen Heinrich-Zille-Button, und zwar gleich unter dem Grußwort der Bürgermeisterin. Und die interne Suchfunktion weist vier Seiten auf, auf denen Zille als Begriff vorkommt – darunter das Heimatmuseum: „Voraussichtlich bis Ende 2017 geschlossen“ - das hätte man am 10. Januar beanstanden können, weil es seit 10 Tagen nicht aktualisiert ist. 

Ja, auf der Seite „Aktuelles“ gibt es auch kein Statement zu Zille. Ja, da hätte was zu diesem Geburtstag stehen sollen. Das wäre nun das Körnchen, das zu finden war in dem sonst sich eigentlich nur aus Fake News zusammensetzenden Pamphlet. Vielleicht stimmt auch, dass der Bauamtsleiter nichts von Zillefeierlichkeiten wusste. Kommt darauf an, wonach genau man fragt. Unter diesem Begriff ist ja tatsächlich bis jetzt nichts geplant.

Dass eine Kleinstadt sich keine „Kulturabteilung“ leisten kann, kann man sich in Berlin anscheinend auch nicht vorstellen und demzufolge auch nicht, dass niemand da ist, dem man direkt vorwerfen könnte, den Geburtstag verschlafen zu haben. Verglichen mit dem Veranstaltungsfeuerwerk, das zum 150. abgeschossen wurde, war das bisher nichts. Ihr erinnert Euch sicher: auf der 6. Zilleweihnacht wurde die letzte Werker-Figur aufgestellt: Zille selber. Die Sparkasse gab eine Gedenkmünze heraus, es gab eine Sonderbriefmarke, gleich zwei Sonderausstellungen im Heimatmuseum und die Tafel an Zilles letztem Wohnhaus in Radeburg wurde mit der Bürgermeisterin von Kapstadt, Helen Zille, eingeweiht. Vieles kam auf Initiative und durch das Engagement des Kultur- und Heimatvereins unter Vorsitz von Frau Dr. Marianne Risch-Stolz zustande. Diese wohnt nun aber nicht mehr in Radeburg. Nur der Nachtwächter ist noch da, der symbolisch für die verschlafende Stadt steht. Burghard Wilbath ist es zu danken, dass es wenigstens regelmäßig um den Zillegeburtstag herum einen „Zillestammtisch“ gibt, der versucht, einen etwas lebendigeren Zille in Radeburg zu haben, als nur die Benennung von Objekten.

Deshalb nahm die Bürgermeisterin den „Aktivposten“ auch mit nach Berlin, wo er an die beiden anwesenden Zilledarsteller Albrecht Hoffmann und Walter Plathe ein „typisches“ Geschenk überreichte. Naja, dachten die Zuschauer, als Sachse holt der jetzt einen Schwibbogen aus dem Ärmel. Das ist das, was die da eben so machen unten in Sachsen… Ah Zillemotive statt Christkind, Tanne und Weihnachststern… Aber dann die Erklärung: das sind keine Kerzenhalter sondern Schnapsgläser. Wir nennen das deshalb „Schwipsbogen“. Da treffen sich sächsischer und berliner Humor. Letzterer, so stellte Fördervereinsmitglied Karsten Speck fest, ist ja eh ein Konglomerat. So wie die Berliner aus schon in der Zillezeit aus allen Gegenden Deutschlands stammten, konnte es gar nicht anders sein.

Bei Zilles sprach man übrigens zu Hause, sobald die Tür zu war, weiterhin sächsisch. Das behauptet zumindest Horst Bosetzky in seinem Zille-Krimi „Skandal um Zille“. Es ist also nicht ganz verkehrt, wenn wir uns trotz unseres sächsischen Dialekts als Zille-Stadt stolz(!) behaupten. Der Weckruf kam vielleicht noch nicht zu spät, denn das Zillejahr hat – zum Glück – erst begonnen.

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