Gibt der Radeburger Anzeiger die Meinung der Stadt wieder?

In eigener Sache - darüber, wie wir unseren journalistischen Auftrag als Monats- und Online-Zeitung verstehen und über die Frage: unabhängiges oder Amtsblatt oder beides zusammen - geht das überhaupt? Wir drucken im Folgenden den Artikel ab, der in der Januar-Druckausgabe veröffentlicht wird, die am 22. Januar erscheint / erschienen ist.

Logos von Radeburger Anzeiger und RAZ24

Die neue Titelgrafik des Radeburger Anzeigers (Druckausgabe) und von raz24.info (Onlineausgabe und Facebook) soll besser unser Selbstverständnis ausdrücken und uns klarer abgrenzen.

Liebe RAZ-Leser,
wir wünschen uns allen ein gesundes Jahr 2021, verbunden mit der Hoffnung, dass alle von echten und auch von "symptomlosen" Krankheiten verschont bleiben.

Schon an dieser Grußformel werden Sie vielleicht merken: das ist nicht so ganz der Tenor, in dem sich eine Stadtverwaltung oder eine Bürgermeisterin an die Bürger wendet. Richtig. Der Radeburger Anzeiger ist spätestens seit 1991 eine unabhängige Publikation. Nach Ausschreibungen wurde er auch Amtsblatt der Stadt Radeburg. Dazu kamen das Amtsblatt von Ebersbach und eine Zeit lang der AZV Gemeinschaftskläranlage Kalkreuth mit seinem Einzugsgebiet von Böhla bei Ortrand bis Steinbach. Immer wurde sowohl seitens der Ämter als auch seitens der Redaktion großer Wert darauf gelegt, das Amtliche und das Unabhängige klar zu trennen, was – trotz der vielen Jahre, die das nun schon so ist, bis heute immer wieder Fragen aufwirft.

Unabhängiges Blatt – oder doch nicht?

Hartnäckig hält sich die Vermutung, dass die Ämter für ihre Veröffentlichungen dem Radeburger Anzeiger etwas bezahlen und dieser deshalb gar nicht unabhängig sein kann. Dem ist jedoch nicht so. Im Gegenteil. Der Radeburger Anzeiger legt Wert auf die Feststellung, von den Kommunen für deren Bekanntmachungen und Mitteilungen KEIN GELD zu erhalten, sondern publiziert die amtlichen Bekanntmachungen KOSTENLOS. Dies entspricht – nebenbei bemerkt - einem Gegenwert von ca. 1.000€ für Satz und Druck pro Ausgabe. Das entspricht einem geldwerten Vorteil von 12.000€ pro Jahr für die Kommunen. Geld, das gern für etwas anderes eingesetzt werden kann.

Wer es darauf anlegt, wird eine gewisse Abhängigkeit sicher trotzdem feststellen. Die ist informeller Natur und wird auch nicht bestritten. Natürlich sind wir für unsere redaktionellen Beiträge auf Informationen aus den Rathäusern und Ämtern angewiesen. Wir wirken ja im gleichen „Sprengel“. So werden wir natürlich immer bemüht sein, zu den Bürgermeistern, Bediensteten, Stadt- und Gemeinderäten ein gutes Verhältnis zu pflegen.

Im letzten Jahr ist aber dieses Verhältnis auf eine noch nie dagewesene Probe gestellt worden. Dafür gab es gleich zwei „Anlässe“. Der erste war der Marktumbau. Hier haben wir schon sehr zeitig angefangen, Hinweisen nachzugehen, dass hier Baumängel bestehen. Wir haben die Hinweise analysiert und eigene Recherchen angestrengt, als die Stadtverwaltung selbst noch – unter Termindruck stehend – versuchte, sich das „Werk“ schönzureden. Wir rechnen uns an, den Kritikern der Baumaßnahme eine Plattform geboten zu haben und am Ende hat sich herausgestellt, dass alle diese Einschätzungen und Bewertungen richtig waren und der Pfusch an unserem „Wohnzimmer“ von niemandem mehr bestritten werden kann. Es geht aber hier nicht um Besserwisserei, sondern darum, wie unabhängige Presse zu funktionieren hat: sie ist in erster Linie für die Bürger (Leser) da, soll deren Meinungen und Befindlichkeiten widerspiegeln und nicht schulmeisterlich die Sichtweise der Behörden erklären.

Und da sind wir beim zweiten Anlass in diesem Jahr, der Corona-Krise. Die Sichtweise der WHO über Angela Merkel, Michael Kretschmer bis hin zum Landratsamt Meißen, geleitet von der Weisheit, Weitsicht und Brillanz eines Herrn Professor Dr. Drosten wird allenthalben über hunderte amtliche Kanäle tagtäglich verbreitet. Diese werden, unterstützt von so genannten öffentlich-rechtlichen Sendern, die mit Politik und Wirtschaft eng verflochten sind. Außerdem werden sie begleitet von Medien, die Regierungsparteien gehören, mit deren einflussreichen Mitgliedern besetzt sind oder z.B. von Stiftungen kofinanziert werden, die ganz klare politische Ziele haben. Da braucht es in der Tat keine Wiederholung auf lokaler Ebene – es sei denn im Amtsblatt wäre das erforderlich. Da wäre die kommunale Verwaltung gefragt, Entscheidungen und Maßnahmen vor Ort zu kommunizieren, zu kontrollieren bzw. durchzusetzen. Unabhängige Presse kann dies selbstverständlich auch unterstützen, aber es geht hier wieder viel mehr darum, die Befindlichkeiten der Bürger widerzuspiegeln: wie wirkt das Regierungs- und Behördenhandeln in dieser Krise? Wie wirkt es sich aus? Was denken die Bürger darüber? Welche Ängste haben sie? Welche Zweifel, welche Fragen? Gibt es eventuell Antworten, die noch nicht gehört wurden? Gibt es verbreitete Stimmungen, die nicht wahrgenommen werden? Da wir das in einer ganzen Reihe von Beiträgen kundgetan hatten, wurde auch Widerspruch laut: darf man Bürger mit „solchen Aussagen verunsichern“?

Die Politik ist auch über ihre demokratisch erlangte Mehrheit nicht dazu berechtigt, nur ihre Meinung zuzulassen und andere zu unterdrücken. Vergleiche mit 1936 oder mit dem Unrechtsstaat DDR sind wirklich unangebracht. „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten,“ heißt es in Art. 5 GG. Also dürfen wir zu einer „eigenen Meinung“ auch kommen und diese äußern, wenn wir nicht Virologen oder Ärzte sind. Uns ist als Redaktion aber dabei die EIGENE Meinung gar nicht so wichtig, sondern eher die an uns herangetragene Meinung der Bürger.

Wer sagt die Wahrheit, wer lügt?

Das Urteil „Lügenpresse“ wurde an Stammtischen auch über uns schon gefällt. Wenn man kein absoluter Zyniker ist, dem das Urteil sogar willkommen ist, wenn es nur von der „rechten Seite“ kommt, dann tut das weh. Der Begriff ist übrigens nicht „Nazisprech“, sondern so alt wie die „Presse“ selbst. Er beruht auf einem elementaren Missverständnis bei der Bewertung von Pressebeiträgen. Es gibt nicht von ungefähr den Ausspruch „er lügt wie gedruckt“. Natürlich kann man mit den Mitteln der Presse auch lügen. Die Flut an Informationen erlaubt es aber, viel subtiler vorzugehen. Von hundert Nachrichten kann man nur die Hälfte oder noch weniger bringen. Welche wählt man aus? Die natürlich, die das eigene Weltbild stützten. Das andere sind „alternative Fakten“. Wer diesen Begriff benutzt, um sich lustig zu machen, sollte vielleicht erst einmal darüber nachdenken, was er wirklich bedeutet.

So fließt die Meinung der Redaktion indirekt über die Auswahl der Themen in die Medien ein und wird automatisch zur „verbreiteten Meinung“ – ja, genau: dieser Begriff hat einen doppelten Boden. Dessen wollen wir uns gern immer bewusst sein. Als Monatsblatt im Druckformat sind unsere Auswahlmöglichkeiten noch bescheidener. Wir wollen dann nicht zum zigsten Mal dasselbe schreiben, was schon „überall“ zu sehen, zu hören oder zu lesen war, sondern schauen uns nach den Stimmen um, die noch fehlen, wollen oberflächlich Bekanntes vertiefen. Insofern geben wir weder die Meinung der Stadtverwaltung wieder noch erheben wir Anspruch darauf, eine Mehrheitsmeinung zu repräsentieren, sondern wollen vor allem für Vielfalt bei der Auswahl sorgen.

Distanz jetzt besser sichtbar

Wir freuen uns, dass es viele Leser gibt, die uns mit ihren Beiträgen unterstützen und wir dadurch eine informelle Tiefe in unserer Region erreichen, die „ankommt“. Wir machen das fest an dem nach wie vor hohen Anzeigenaufkommen. Anzeigenkunden suchen sich Blätter, die gelesen werden und da haben wir keinen schlechten Stand. Das ermutigt und beweist uns, dass wir einen Weg gehen, der sich richtig anfühlt. Auch in Bezug auf Anzeigenkunden besteht im Übrigen keine Abhängigkeit, denn keiner dominiert mit seinen Anzeigen das Monatsblatt so, dass dessen Existenz davon abhinge. Es gibt auch keine externen Spender oder Sponsoren, die uns unterstützen und dadurch eine redaktionelle Meinung beeinflussen.

Danke auch, dass unser Verhältnis zu den Bürgermeistern, der Exekutive und der Legislative in der Region nach wie vor so ist, dass wir die „harte Probe“ im letzten Jahr bestanden haben. Gerade in Sachen Markt und Corona hat sich gezeigt, dass man sich auch respektieren und „aushalten“ kann, wenn man nicht einer Meinung ist.

Um die nötige Distanz zwischen den Offiziellen und der Redaktion deutlicher zu machen, haben wir über den Jahreswechsel das Erscheinungsbild des RAZ leicht verändert. Sie sehen jetzt auf der Titelseite nicht mehr das Stadtwappen. Dieses soll nur noch dort stehen, wo der amtliche Teil zur finden ist. Wir hoffen, damit auch für mehr Klarheit zu sorgen.

Die Redaktion