Einige der Händler nannten bei der Zusammenkunft Beispiele aus anderen Kleinstädten, die schon "über die Klippe" sind, wo denkmalgerecht sanierte Häuser von zugehängten Schaufenstern begleitet werden und außer einem Dönerspieß sich am Wochenende nichts mehr dreht.
Jedem 10. Geschäft droht die Schließung
Neben den zahlreichen Supermärkten und Discountern an den Rändern dieser Städte, die den Nebeneffekt haben könnten, auch Besucher aus dem Umland anzuziehen, gilt eine weitere Ursache als ausgemacht: „Wächst der Onlinehandel weiter wie bisher, droht bis 2020 jedem zehnten Geschäft die Schließung,“ schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Sollte das auch für Radeburg gelten? Wenige Tage später befeuerten Beiträge in der BILD über verödende Städte die Diskussion. Der Radeburger Anzeiger hat deshalb einmal recherchiert, welche Veränderungen in den nächsten Jahren schon absehbar sind und was das für die Attraktivität der Innenstadt bedeutet. Bei einem Stadtrundgang, hauptsächlich auf der Großenhainer Straße und auf dem Markt, zeigte sich ein differenziertes Bild und um es gleich vorweg zu sagen: so schnell ist nicht gestorben. Bisher sind es am Markt und am Großenhainer Platz nur drei Geschäfte, die geschlossen sind. Neben dem ehemaligen Einkaufsmarkt ist das der ehemalige Gemüseladen von Rolf Danies und ehemals Rudi's Rast. Die beiden Letztgenannten fallen durch heruntergelassene Rollos ebenso auf wie der Laden neben dem Schuhgeschäft. Im Letztgenannten befindet sich allerdings die Werkstatt des Sanitätshauses Seidel, so dass der Anblick täuscht. Mirko Seidel erklärte auf Nachfrage vom Radeburger Anzeiger, dass man bereits Pläne habe, an dem geschlossenen Eindruck etwas zu ändern.
Betrachtet man einen Zeithorizont von fünf Jahren, dann sind es genau vier von vierzig in diesem Bereich ansässigen Unternehmen, die für sich keine Zukunftsperspektive sehen. Im kommenden Jahr schließt das Fotofachgeschäft Eulitz. Hier hatte man schon seit Jahren mit der Digitalisierung und der Internetkonkurrenz zu kämpfen und die Einrichtung einer Fotokette im neuen dm-Fachmarkt besiegelte das Ende des Geschäfts. „Wir haben genau den gleichen Lieferanten für die Fotodienstleistungen wie dm, aber bei uns bestimmt der Lieferant den Preis und dm mit seiner Marktmacht kann den Preis des Lieferanten drücken. Da können wir einfach nicht mehr mithalten, sagt Rentnerin Heidi Wagner, die für ihren Sohn Torsten Eulitz im Geschäft steht, der längst woanders seine Brötchen verdient und auch weiß, dass er mit Vermietung des in seinem Eigentum befindlichen Geschäfts mehr verdienen könnte als wenn er selber im Laden steht. „Vom Finanzamt wird man gleich zweimal abgefettet. Einmal bezahlt man als Angestellter Lohnsteuer und als Unternehmer führt man dann auch noch die Hälfte von dem spärlichen Ertrag ab. Das muss man sich nicht antun,“ meint Frau Wagner.
Sehr schwierig gestaltet sich die Lage für den Hirsch. Der Bestandsschutz, den der Hirsch heute noch hat, wird mit einem Betreiberwechsel enden. Der Sanierungsaufwand geht in die Millionen. Damit sich das rechnet, müsse das Objekt als Kulturhaus betrieben werden, aber viel mehr als die bisher üblichen Veranstaltungen werden als Emissionsschutzgründen in der Innenstadt nicht zugelassen. Darüber hinaus, so erklären interessierte Investoren, ist die Saalkapazität für einen wirtschaftlichen Betrieb viel zu gering. Somit ist eine wirtschaftliche Weiterführung des Hirsches in der bisherigen Form sehr unwahrscheinlich. Nachfolger für ihr Geschäft werden voraussichtlich auch die Wollkiste und Lederwaren Weser nicht finden.
Stadt als Ort der Kommunikation erhalten
„Ich finde das bedauerlich,“ sagt Sylke Schuppe von der „Wollkiste“. „Mit meinem Konzept, neben dem Verkauf von Wolle auch Stricknachmittage anzubieten, fahre ich ganz gut. Das Besondere ist, dass sich die Kunden hier treffen, miteinander ins Gespräch kommen, sich austauschen. Das ist doch eigentlich das, wofür es ein Stadtzentrum gibt - neben dem Geschäft ist es ein Ort der Begegnung und Kommunikation. Dass es dafür weniger Angebote gibt, wenn hier anstelle der Läden noch mehr Banken und Versicherungen einziehen, würde ich sehr bedauern.“
Silva Böhme vom Lederwarengeschäft ist traurig darüber, dass das Unternehmen mit der längsten durchgehenden Familientradition an ein und demselben Standort keinen Nachfolger finden wird. Ähnlich sieht es Karina Jentzsch vom Modehaus Luckow, einem altehrwürdigen Traditionshaus. Sie als Geschäftsführerin betrifft es zwar noch nicht persönlich, aber ihre beiden Verkäuferinnen werden in den nächsten Jahren in Rente gehen und ob man dann noch jemanden für das Geschäft findet, ist fraglich. Sie möchte auch ihre Kinder nicht nötigen, in das Geschäft einzusteigen. „Ich weiß es nicht, wie es mal kommt. Bei mir war es ja auch nicht so, dass ich mir als junger Mensch nichts anderes hätte vorstellen können, als mal den Laden von meiner Mutter zu übernehmen. Vielleicht wird es so, dass ich mal das Damen- und Herrengeschäft zusammenfasse und das jetzige Herrengeschäft vermiete. Ich weiß es noch nicht.“ Fasst man den Horizont weiter, auf zehn Jahre, so kommen weitere Geschäfte hinzu. Fernsehtechniker Jürgen Kahle und Wäsche-Eck Christina Lau gehen nicht davon aus, dass ihre Kinder sie in ihren Geschäften beerben werden. Dennoch, so ergab die Befragung, sieht es für Radeburg nicht ganz so schlimm aus, wie für manche andere Kleinstadt. Radeburg hat noch Flair „Wir haben immer wieder Anfragen nach Läden in der Innenstadt,“ sagte Bürgermeisterin Michaela Ritter, „es sind aber vor allen Dingen Unternehmen, die für Filialen Objekte suchen.“ In dieser Richtung hat sich das Stadtbild schon jetzt geändert. Die „Engel-Apotheke“ (früher Schuhmacher), die „AGK-Fahrschule“, „Meditech“ Orthopädieschutechnik (Haus- u. Küchengeräte), der „Waschbär“ (Fahrräder, später Lampen), zwei Banken, zwei Versicherungen (Eisenwaren bzw. Pelze und Uhren) sowie die Bäkkerei Boetzig sind in den letzten Jahren von inhabergeführten zu Filialgeschäften geworden. In Klammern das ursprüngliche Geschäft (Quelle u.a.: Schriftenreihe „Zur Geschichte der Stadt Radeburg,“ die Großenhainer Straße im Wandel der Zeit“) Außer bei den Versicherern und Banken sind die Filialen Ableger mittelständischer Unternehmen. Man kann sagen: da hat Radeburg noch Glück gehabt, denn wenn erst einmal Handelsketten den Reiz dieser Kleinstadt entdeckt haben, kann schnell die Unverwechselbarkeit verloren gehen. Handelsketten haben an allen Orten die gleichen Sortimente. Da gibt es keinen besonderen Anreiz mehr, ausgerechnet in DIESE Stadt zu kommen. Axel Schmidt vom gleichnamigen Kopierbüro berichtet von einem Kunden, der regelmäßig aus Königsbrück nach Radeburg kommt und sagt, in Königsbrück gäbe es keine kleinen Geschäfte mehr - aber hier in Radeburg - das habe Flair.
Händler wie Lederwaren-Weser, Wäscheeck-Lau oder Modehaus Luckow haben es verstanden, auch durch jahrelange Erfahrung, den Geschmack ihrer Kundschaft herauszufiltern und zu bedienen - weshalb sie sich trotz der übergroßen Konkurrenz halten konnten. „Wir müssen jetzt schon die Sommerkollektion bestellen,“ sagt Karina Jentzsch. „Da ist es bedauerlich, wenn jetzt ein Kunde nach einem Winterartikel fragt, den wir nicht mehr vorrätig haben, und der dann meint, dass wir diesen doch einfach nachbestellen könnten. Und das geht leider nicht, weil das Sortiment schon ausgetauscht wurde.“ Diesen zeitlichen Vorlauf mag sie nicht und sie findet ihn unsinnig, „aber wenn ich jetzt nicht die Sachen beziehe, die ich für den Sommer verkaufen will, dann bekomme ich nur noch Reste. So ist das leider.“ Ob die Kundennähe noch erhalten bleibt, wenn diese Individualität eines Tages durch Filialgeschäfte ersetzt wird?
Dienstleister haben Zukunft
Einen weiteren Trend stellen Dienstleistungsunternehmen dar, die (noch) keine Konkurrenz aus dem Internet zu fürchten haben. Im betrachteten Bereich gibt es drei Nagelstudios, ein Kosmetikstudio sowie einen der vier Friseurgeschäfte der Innenstadt - die alle keine Auslastungssorgen haben. Gabriele Richter, Inhaberin des „Salon Gabi“, in dem früher mal eine Gaststätte mit angeschlossener Tankstelle, ein Fahrradladen und nach der Wende zuerst ein Schuhladen waren, sagt zur Zukunft ihres Geschäfts: „Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Jede von meinen Mädels könnte mal das Geschäft übernehmen.“ Und mit Blick auf den Großenhainer Platz mit seinen Parkplätzen: „Idealer könnte der Standort kaum sein“. Allgemein ist festzustellen: Dienstleistungen, die man nicht über das Internet beziehen kann, haben Zukunft, führen die Leute nach wie vor in die Innenstadt. Und mit Blick auf das Internet deutet sich auch eine gewisse Trendumkehr an - die meint Axel Schmidt bereits ausgemacht zu haben.
Er nimmt als Beispiel die vom Kopierbüro seit mittlerweile 10 Jahren veranstaltete Radeburger Ranzenparty. Am Beispiel Ranzen machte er klar, wo die Nachteile des Internet liegen. „So ein Ranzen ist eine individuelle Sache. Der Ranzen muss gut an den Kinderrücken passen und das kann man eben schlecht einschätzen, wenn man nur auf ein Bild schaut. Eine Zeit lang hatte man mit dem Problem zu kämpfen, dass sich die Kunden zwar intensiv beraten ließen, dann aber ins Internet gingen und schauten, wo sie es günstiger bekommen. Das funktionierte so lange, bis auch die Ranzenhersteller gemerkt haben, dass ihr eigener Umsatz schrumpft, wenn sie die Waren im Internet günstiger anbieten, als es der Fachhändler vor Ort kann. Deshalb gibt es die aktuellen Ranzen der führenden Marken im Internet zum gleichen Preis, wie beim Fachhändler und dann ist natürlich der Vorteil die individuelle Beratung und der Service, denn auch ein Ranzen kann mal kaputt gehen.“
Inzwischen stellen auch immer mehr Kunden fest, dass die eigene Recherche im Internet oft viel mehr Zeit raubt und auch nicht zu einem besseren Resultat führt, als wenn man sich vor Ort fachmännisch beraten lässt. Das Märchen vom gemütlichen Einkauf vom Sofa aus glauben immer weniger, denn das „weltweite“ Angebot will erst einmal durchforstet sein und nicht das beste Angebot steht ganz oben, sondern das am geschicktesten platzierte. Und die diversen Risiken beim Internethandel sorgen nicht gerade für Entspannung trotz eines geradezu exzessiven Verbraucherschutzes.
Zusammenhalt ist wichtig
Die Radeburger Gewerbetreibenden haben nach ihrer Zusammenkunft am 14. November eine Whatsapp-Gruppe gebildet, die inzwischen schon ca. 40 Mitglieder hat. Diese Zahl zeigt auch, wie stark das Gewerbe hier noch ist. Und dass die Gruppe gebildet wurde zeigt auch, dass man sich einig ist, für den Erhalt der Innenstadt und ihres besonderen Flairs etwas zu tun. Wenn im zweiten Quartal die Baufahrzeuge anrollen, will man die gleichen Instrumente nutzen, die man bereits beim Ausbau der Großenhainer Straße genutzt hat. Auch quartalsweise eine Händlerzeitung herauszugeben ist angedacht.
„Wenn dann jeder Händler die Möglichkeit hat, sein Geschäft mal näher vorzustellen, dann wird uns das sicher etwas bringen“, erwartet Vodafone- Fachhändler Stefan Roch. Auch sollen besondere Aktionen für die Zeit der eingeschränkten Parkmöglichkeiten gemacht werden. Es besteht die Hoffnung, dass der Parkplatz an der Röder dann noch fleißiger genutzt wird als bisher. Er ist nach wie vor, trotz umfangreicher Beschilderung, viel zu wenig bekannt.
- Wer von den Händlern noch Interesse hat, der WhatsApp-Gruppe beizutreten, meldet sich bitte im Kopierbüro Schmidt.
- Wer gerne seine Meinung zu diesem Beitrag oder zu diesem Thema sagen möchte, kann dies in der RAZ-Community UND/ODER auf der RAZ-Facebookseite jeweils unter diesem Artikel tun.
- Gerne kann auch ein Leserbrief per E-Mail oder Post an den Radeburger Anzeiger geschrieben werden oder Sie tauschen sich mit einem der Händler und Gewerbetreibenden der Innenstadt aus, der Ihre Information dann weitergibt.