Asylbewerbern eine Chance - Moritzburg zwischen humanistischem Anspruch, Angst und Zweifel

In Moritzburg ist die Zahl derer, die bereits persönliche Erfahrungen mit den Asylsuchenden haben, vergleichsweise groß, dadurch gibt es auch mehr Optimisten als in anderen Dörfern. Dennoch ist auch hier die Zahl derer groß, die sich Sorgen machen, skeptisch sind oder schlicht Angst haben, zumal die, die schon Erfahrungen haben, nicht nur Positives berichten. Darum war die Botschaft der Bürgerschaft an die Vertreter auf dem Podium dann auch in etwa so formuliert: „Wir nehmen die jetzt, es geht nicht anders. Aber sie müssen unsere Regeln lernen und sich dran halten, wenn nicht, muss das Konsequenzen haben. Das fordern wir ein und da nehmen wir Sie beim Wort!”

An der alten Heimschule wird bereits gebaut.

An der alten Heimschule wird bereits gebaut.

Zum ersten Mal seit der Wende mussten die Moritzburger sich für eine Einwohnerversammlung den größten verfügbaren Saal suchen, um alle Interessierten unterzubringen.

Pfarrerin Bettina Reinköster sagte nicht nein, als Bürgermeister Jörg Hänisch mit dem Ansinnen kam, die Räume für eine Versammlung zum Thema Asyl nutzen zu wollen. Berichte in den Medien, Bilder, die Angst und Sorge verbreiten, trieben die Menschen um, auch in Moritzburg. Auf dem Podium unter dem Altar nahmen Platz: Landrat Arndt Steinbach, der für Asylfragen verantwortliche Leiter des Rechts- und Kommunalamtes des Landkreises Meißen, Manfred Engelhard, der Leiter der Polizeireviers Meißen, Polizeidirektor Hanjo Protze, der Bürgermeister der Gemeinde Moritzburg, Jörg Hänisch sowie als Moderator der Polizeiseelsorger der Landeskirche Sachsen, Christian Mendt.

Bürgermeister Jörg Hänisch sagte, Hassprediger und Kriegstreiber hätten den Nahen Osten destabilisiert. „Heute sind die Folgen bei uns angekommen.“ Die Einwohnerversammlung sei dafür da, Lösungen zu suchen und „uns nicht gegenseitig zu beschimpfen und zu beleidigen.“ Er selbst habe schon seit geraumer Zeit die Bereitschaft signalisiert, dass Moritzburg Asylbewerber aufnimmt, nur hat die Kommune selbst keine eigenen Objekte, aber die leerstehende landkreiseigene Heimschule bot sich als geeignetes Objekt an. 98 männliche Asylbewerber im Alter bis ca. 40 Jahre sollen hier Platz finden. Die Bauarbeiten haben bereits begonnen. Vorgesehen sind zwei Bauabschnitte. Nach dem ersten sollen 64 Bewohner unterkommen, nach dem zweiten 34. In der Nachbarschaft befindet sich der evangelische Kindergarten. Elterngespräche seine bereits geführt worden, um Sorgen und Ängste zu nehmen. Das Aktionsbündnis "Vielfalt Moritzburg" will für die Bürger ebenso Ansprechpartner sein wie für die Asylbewerber. Dem Vernehmen nach haben sich bereits 100 Moritzburger gemeldet, die in dem Bündnis aktiv werden wollen. Das reicht für's erste fast für eine „1:1-Betreuung“, aber Moritzburg soll nach aktuellen Zahlen 205 Asylbewerber aufnehmen. Eine Reihe von Rednern gab sich dann auch als der Gruppe zugehörig zu erkennen und appellierte an die anderen Moritzburger, vor den Asylbewerbern keine Angst zu haben, denn es seien nur wenige, die Probleme machen. Sibylle Schulze aus Friedewald sagte: „Wir sind dabei, uns gegenseitig zu deprimieren. Ich arbeite im Flüchtlingsheim und kann sagen, dass die Flüchtlinge vor allem eines wollen: hier in Frieden leben.“ Sie sah in Moritzburg die große Chance, in Sachen Asyl eine „Vorbildgemeinde“ zu werden.

45 Minuten bis zum Eintreffen der Polizei

Polizeidirektor Hajo Protze beschrieb die aktuelle Lage aus seiner Sicht: „Wir haben 2700 Asylbewerber derzeit im Revierbereich. Zur Ehrlichkeit gehört, zu sagen: die Sicherheitslage hat sich verändert.“ Man müsse aber auch verstehen, die Menschen die hier ankommen, haben einen Überlebenskampf hinter sich. „Sie hatten mit Schleuserbanden zu tun und mit anderen Verbrechern, haben illegal Grenzen überschritten um zu überleben. Das geht mit einer Verrohung der Sitten einher und es wird dauern, bis sie wieder wissen, was Recht und Ordnung ist. Die übergroße Mehrheit der Asylbewerber aber werden Sie nicht mit Störungen wahrnehmen. Das kann ich Ihnen versichern,“ sagte er und bat, „bringen sie bitte alle Dinge zur Kenntnis, die Ihnen auffallen.“

Frau Bertel aus Moritzburg hegte Zweifel daran, dass das bei der Überlastung der Polizei klappen würde und schilderte einen Fall, wo die Polizei bei einem nicht näher beschriebenen Konflikt am Telefon nur sagte: „Sie sind doch Lehrerin. Können Sie das nicht selber regeln?“ Vor ihr standen zwei junge Männer zwischen 20 und 25, 1,90 m groß, 120 Kilo schwer. Sie sagte: „Ich habe keine Angst, aber es gibt genug Frauen und Männer, die dann sagen: Nein, ich zieh mich zurück. Ich erwarte eigentlich von unserer Polizei, dass wir in Notsituationen geschützt werden.” Eine Frau aus Boxdorf, die in Dresden arbeitet, berichtete, dass ihre Firma einen persönlichen Wachschutz für’s Personal eingestellt hat, weil es tagtäglich unzweideutige Annäherungsversuche von Asylbewerbern auf die Verkäuferinnen gibt und nicht einmal Hausverbot sie abschreckt. „Ich muss sagen, dass die, die wir von der Polizei an dem einen Tag haben abholen lassen, kommen am nächsten Tag wieder über die Straße spaziert und machen uns an. Und da muss ich sagen, habe ich kein Vertrauen mehr in unsere Sicherheit.”

Moritzburger Mütter schilderten teils unter Tränen den Verlust der Lebensqualität, den sie nun befürchten. Die Kinder, die gerade selbständig werden und mit dem Fahrrad durch den Ort fahren, will man nun nicht mehr allein nach draußen schicken, nicht mehr unbeobachtet auf den Spielplatz lassen. Vieles, was den Wert der kleinen Gemeinde bisher ausgemacht hat, die Unbeschwertheit, die selbstverständliche Sicherheit und Geborgenheit, sehen sie nun in Frage gestellt. Was nützt es, wenn nur ein Einzelner einen Übergriff begeht, wenn es das eigene Kind betrifft, ganze Familien traumatisiert in den Abgrund gezogen werden?

Claudia Hoffmann aus Moritzburg fragte, ebenfalls an den Polizeidirektor gewandt: „Was passiert dann mit denen, die straffällig werden?“ Das Beispiel aus Dresden wurde in Erinnerung gebracht, wo ein einzelner Täter hintereinander drei Vergewaltigungsversuche unternahm, ehe er gestoppt wurde. Ein Herr Gedeck, athletischer Typ, stellte fest: „Die Polizei kommt bei einer Straftat in 45 Minuten,“ und hängte mit ironischem Unterton an: „Was soll ich mit den Tätern in der Zwischenzeit machen?“ Polizeidirektor Protze bedauerte, was da schief gelaufen sei, verwies auf Gründe für den Stellenabbau wie demografischer Wandel, Rückgang von Straftaten und den Sparkurs. Man habe jetzt eine andere Situation und mehr Polizisten wieder einzustellen ginge nicht von heute auf morgen. Freilich erwäge man, den Polizeiposten in Coswig wieder aufzumachen, um schneller vor Ort sein zu können. „Dennoch,“ beschwor er das Auditorium, „es kommen keine hundert Raubtiere. Jüngste Statistiken haben belegt, dass die Zahl der Straftaten bei Asylbewerbern nicht höher ist als im Schnitt der Bevölkerung.“ Er brachte Beispiele, wo schiere Angst zu Polizeieinsätzen geführt hatte, die keinen Grund hatten. In einem Fall wurde ein Schüler von Asylbewerbern umringt, der ihre Sprache nicht verstand und die einfach nur wissen wollten, wie man am Fahrkartenautomaten ein Ticket löst, in einem anderen Beispiel war es eine Verkäuferin in einem Handyladen, die 110 wählte, obwohl die Asylbewerber nur eine Prepaidkarte kaufen wollten. Auch hier sei nur die Sprachbarriere der Grund gewesen.

Es kann keiner garantieren, dass nichts passiert

Daraufhin nahm Alf Mahlo das Mikrophon und sollte für seine Worte den wohl stärksten Applaus an diesem Abend ernten. „Ich habe mit Arabern gelebt, ich habe sehr enge Freunde in Äthiopien und es gibt auch Leute, die hier wohnen und ich finde, das sind tolle Typen und ich finde das auch eine Bereicherung unserer Kultur. Aber es geht hier nicht darum, ein paar Leuten eine Chance zu geben, es geht hier um die Zukunft unseres Landes. Ich meine, das ist schön, dass Sie Beispiele bringen, aber diese Beispiele und Ihre Statistik interessiert mich überhaupt nicht. Ob 1000, 3000, 500 – in Paris haben sie 8 Leute gebraucht, um diese Menschen umzubringen. Und hier in Moritzburg reichen vielleicht drei Leute, um den ganzen Ort klar zu machen. Und es ist einfach gelogen, mit einer dreiviertel Stunde am Einsatzort. Wir sollten den Asylbewerbern die Chance geben, das können wir jetzt nicht anders. Und wir sollten ihnen klar sagen, und ich stell mich da zur Verfügung, wenn sie die Gesetze nicht einhalten, dass das Konsequenzen hat. Und darum bitte ich dann auch. Um Konsequenzen."

Mehrfach ergriff auch der Landrat das Wort. Er gestand ein: „Es kann keiner garantieren, dass nichts passiert.“ Mehrfach befragt nach seinem Amtsverständnis als vom Volk gewählter Landrat erklärte er: „Ich bin gewählt worden für die Funktion des Landrates. Ich bin aber nicht der Vorsitzende des Rates des Kreises und der Erste Sekretär der SED-Kreisleitung in einer Person. Der Landrat ist Exekutive. Ich fasse keine Beschlüsse und verabschiede keine Gesetze. Ich bin CDU Mitglied und habe trotzdem eine Meinung.“ Er sagte, dass er in Veranstaltungen auf anderen Ebenen in einer ganz anderen Rolle sei und verwies auf den Brandbrief der Landräte an die Kanzerin. Dort finden sich viele Positionen wieder, die auch hier aus dem Auditorium geäußert wurden. Befragt, wie er die derzeitige Rolle der Kanzlerin sehe, sagte er: „Es könnte in Deutschland noch viel schlimmer sein.“

Bei diesem Satz wurde es laut im Saal, wie auch schon zu Beginn der Versammlung, als Moderator Christian Mendt das Auditorium bat, Beifallsbekundungen zu unterlassen. Um Zeit zu sparen, wie er sagte. Aber der Beifall war ein präziser Sensor für die Stimmung im Saal.


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