Eine Schubkarre, tausend Traktoren und ein Wirtschaftskrimi - Teil I

Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Abwasserzweckverband (AZV) Großenhain in der Augustausgabe des Großenhainer Amtsblattes einen brisanten Artikel, den wir im Radeburger Anzeiger im Oktober mit Bezug auf den AZV Promnitztal nachdruckten. Seine eigentliche Brisanz ist damals wahrscheinlich nicht vielen klar geworden, doch die Aktionen der Bauern in jüngster Zeit haben ziemlich genau damit zu tun. Zugespitzt gesagt: es geht um einen Wirtschaftskrimi. Deshalb veröffentlichen wir den damals nur in der Printausgabe erschienenen Beitrag noch einmal online. Fortsetzung folgt.

Eine Schubkarre Klärschlamm

Eine Schubkarre Klärschlamm - die Jahresproduktion aus häuslichem Abwasser eines jeden Bundesbürgers. Dünger, der nicht mehr auf die Felder darf. So will es ein neues, von Profitinteressen geprägtes umweltfeindliches Gesetz, das nicht zuletzt die Bauern auf die Barrikaden bringt.

Gut eine Schubkarre erdähnliche, krümelige Substanz - das ist die Jahresproduktion aus häuslichem Abwasser eines jeden Bundesbürgers. Genau genommen 86 Kilogramm mechanisch entwässerter Klärschlamm, der bei der Abwasserbehandlung übrig bleibt. Abfall. Er enthält das Beste und das Schlechteste unserer Lebensweise im Abwasserstrom vereinigt: Nährstoffe, wie Phosphor, Stickstoff, Kohlenstoff, Minerale, wie auch Rückstände von Haushaltchemikalien, Medikamenten bis zu allem, was der Regen auswäscht und über den Kanal in die Kläranlage leitet. Etwa ein Teil getrockneter Feststoff ist mit drei Teilen Wasser verbunden. Erdig schwarz anzuschauen, muffig riechend und doch keine Erde.

In der Kläranlage Radeburg fallen jährlich circa 1.100 Tonnen mechanisch entwässerter Klärschlamm an. 80 Prozent davon sind Wasser – im Produkt gebunden, die mit auf die Reise gehen. Bundesweit sind es ungefähr 7.000.000 Tonnen entwässerter Klärschlamm mit 1.770.000 Tonnen Trockensubstanz. Bis 2017 konnte Klärschlamm landwirtschaftlich verwertet werden, wenn er den strengen Richtlinien der Klärschlammverordnung entsprach. Auch zur Rekultivierung von Brachflächen konnte Klärschlamm nützlich sein und damit den Stoffkreislauf wieder schließen. Doch die Politik wollte es anders. Das Gesetz forderte einen harten Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Verwertung hin zur Verbrennung. Wobei der Wert aus der Ver-Wert-ung inzwischen wohl bedeutungslos geworden ist und mitverbrannt wird.

Müllverbrennungsanlagen oder Klärschlammmonoverbrennungsanlagen, das sind die nächsten Reiseziele unseres Klärschlamms. Von dort geht die Asche zur Phosphorrecyclinganlage. Nur ein Teil des wertvollen Rohstoffs Phosphor kann der Asche durch chemische Prozesse entzogen werden. Zurück bleibt saure Klärschlammasche, etwa 10 Prozent des Ausgangstoffes unserer Schubkarre, der deponiert wird – ungefähr 8,5 Kilogramm, endgelagert. Mit schönen Grüßen an unsere Enkel.

Inzwischen hat die Schubkarre Klärschlamm circa 800 Kilometer zurückgelegt. Von der Kläranlage zur Verbrennungsanlage. Von dort zur Phosphorrecyclinganlage, weiter zum Düngemittelgroßhändler. Der nicht verwertbare Anteil endgelagert. Fertig. Gäbe es dazu eine Alternative? Ohne Angst vor Medikamentenrückständen und polychlorierten Fremdstoffen? Ja, sicher. Man könnte den Klärschlamm vor Ort in der Kläranlage trocknen und karbonisieren. Pyrolyse oder trockene Karbonisierung ist ein Prozess, der der Herstellung unserer Grillkohle ähnelt. Kohlenstoff wird nicht mehr verbrannt und als Kohlendioxid in die Luft geblasen, sondern bleibt in fester Form als Bio-Kohle enthalten. Die schädlichen Stoffe werden weitgehend in Gasform überführt und verbrannt. Es entsteht ein neues Produkt, in dem vor allem Kohlenstoff und Phosphor erhalten bleiben. Anorganische Stoffe, Minerale ebenso.

Aber dieses Produkt darf nicht in unseren Boden, beim Landwirt direkt um die Ecke. Warum? Der Gesetzgeber will es so. Es wäre Strukturverbesserer für Böden und Dünger zugleich. Beide Eigenschaften in einem Produkt – das geht nicht, so sagt es das Gesetz. Also wohin damit? Wieder verbrennen? Leider ja. Spätestens jetzt kommt die Frage auf, ob uns diese Gesetze gut tun? Unserem Klima? Dem Verkehrschaos? Dem Dieselverbrauch durch LKW-Kolonnen? Dem Straßenverschleiß durch unnötigen Schwerlastverkehr? Den Deponien, die irgendwann gut gefüllt sind? Den Böden? Der Luft, in die noch mehr CO2 geblasen wird? Es braucht Mut, Gesetze zu ändern, die ihre Wirkung verfehlt haben. Es braucht langen Atem. Aber es ergibt Sinn. Fragt die Bauern, die deswegen auf den Barrikaden sind!