„Ein Hauch von Geschichte zum Kaffeeklatsch“

Am Mittwoch, dem 20.02.2019 fand im frisch renoviertem Rundsaal im „Moritz“, Schulstraße 5, Radeburg, der erste „Moritz Treff“ statt. Eingeladen dazu waren alle Radeburger Rentner und Rentnerinnen von der Radeburger Wohnungsgesellschaft, die dieses Gebäude für die Stadt Radeburg verwaltet. Es wurde vorab ein Lichtbildervortrag mit Frau Andrä von der Arbeitsgemeinschaft Stadtgeschichte des Kultur und Heimatvereins über die Geschichte des Hauses und ein Rundgang durch das Gebäude angekündigt.

Viele Senioren nahmen die Gelegenheit wahr, um sich einen Eindruck über die Stätte zu verschaffen. Nicht zuletzt spielte auch die allseits hoch geschätzte unterhaltsame Redekunst von Frau Andrä eine Rolle. Der Saal füllte sich also sehr schnell und war bald bis auf den letzten Platz besetzt. Dankend nahm man zuerst einmal Kaffee und leckeren Kuchen an.
Frau Funke, Geschäftsführerin der Radeburger Wohnungsgesellschaft, begrüßte die Gäste und stellte kurz die Erfolge und Probleme des Umbaus dieses Hauses in den letzten Jahren vor. Es ist nicht immer so leicht, die alte Architektur zu bewahren und dabei die Räume den Ansprüchen und Normen eines modernen Pflegedienstes anzupassen. Das dies aber bisher gut gelungen ist, konnte man beim späteren Rundgang feststellen.
Die Radeburger Wohnungsgesellschaft feierte übrigens am 25.02.2019 ihr 25jähriges Bestehen. Dazu möchten wir, die Senioren, und auch das Team des Radeburger Anzeigers ganz herzlich gratulieren.
Weiterhin verwies Frau Funke darauf, dass jeden Dritten Mittwoch im Monat ein „Moritz Treff“ im Rundsaal stattfinden wird. Bei sommerlichem Wetter können die angrenzenden Freiflächen und Pavillons genutzt werden.
Den darauf folgenden Lichtbildervortrag begann Frau Andrä mit der theoretischen Berufsausbildung in Radeburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es ging über sogenannte „Sonntagsschulen“ dann zu „Verbandsschulen“ für verschiedene Berufsgruppen, zunächst nur für Jungen bis zur Gründung der „Haushaltungsschule“ für Mädchen. Diese zog 1898 in das alte Kirchschulgebäude. Maßgeblich daran beteiligt war der damalige Bürgermeister Moritz Richter (1862 – 1938). Aufgrund des großen Zuspruchs musste man ein neues Schulgebäude errichten. Dies geschah auf der weiten freien Fläche zwischen Schulstraße und Radeberger Straße, die dem Rittergut gehörte und mit Schafstall und Schäferei bewirtschaftet wurde. Die Schule wurde 1911 auf Initiative des Bürgermeister Moritz Richter errichtet und nannte sich „Bildungsund Haushaltungsschule für Töchter mittleren Standes“. Die Finanzierung erfolgte über Anteilsscheine. Den Unterricht hielten sechs Lehrerinnen. Auch der „Chef“ war eine Frau. Im Haus gab es u.a. zwei Speisesäle für jeweils Haus A und Haus B des zweiflügligen Gebäudes, mehrere Schlafräume, Küche, ein Waschhaus, Roll- und Plättzimmer, Empfangszimmer. Die Mädchen nannten sich „Heimchen“ (wohl vom trautem Heim kommend) und fühlten sich dort sehr wohl. Das konnte bei späteren Begegnungen immer wieder heraus gehört werden. Unterrichtet wurde alles, was die zukünftige Hausfrau so braucht (u.a. kochen, auch Krankenkost, backen, Wäsche waschen, rollen, bügeln, sticken, nähen, Eindecken einer festlichen Tafel und vieles mehr). Das Kochbuch „Ratgeber für Herd und Haus“ der Lehrerin Bertha Dissmann hat mit seinen Rezepten noch heute große Gültigkeit, ist jedoch in den Antiquariaten kaum zu finden.
Die Zeit ab 1945 wurde von Frau Koch aus der AG Stadtgeschichte vorgestellt. Nach dem Krieg erhielten Flüchtlinge Wohnungen im Haus. Das Gebäude fungierte als „Haus der Demokratie“. Es waren die FDJ, die SED, die Volkssolidarität, der FDGB sowie ein Kindergarten untergebracht, ab 1948 eine Suppen- bzw. Volksküche sowie das „Casino der Werktätigen“.
Die Berufsschulausbildung begann im Oktober 1945 in der heutigen Zilleschule unter dem Direktor Horst Hartwig. Als das Berufsschulgebäude 1949 der Stadt übergeben wurde erhielt die Allgemeine Berufsschule Radeburg dieses zur alleinigen Nutzung. Um 750 Schüler auszubilden, waren erhebliche Umbauten nötig. Es wurde der theoretische Unterricht für die Berufsgruppen Metallbearbeitung, Holzbearbeitung, Nahrungsmittelgewerbe, Schuhmacher, Baugewerbe und Landwirtschaft gehalten. Ab 1952 beschränkte sich die Ausbildung auf Tischler, Zimmerleute und Landwirte, ab 1956 nur noch Landwirtschaft für Radeburg und Umgebung. Die Landwirtschaftliche Berufsschule bestand hier bis 1968. Die Lehrlinge kamen aus dem ganzen ehemaligem Bezirk Dresden. Deswegen musste durch Um- und Ausbau ein Internat geschaffen werden. 1960 zogen die ersten 15 Lehrlinge ein. In der hauseigenen Küche wirkte Frau Habelt als Küchenfee, im Sekretariat Frau Helbig als gute Seele der Einrichtung.
1968 entstand das Schulkombinat Freital-Radeburg. Wieder wurden die Unterrichtsräume umgestaltet und das Internat ausgebaut. 1969 gab es 60 Internatsplätze. Die Zimmer und das Inventar wurden gemeinsam vom Erzieherkollektiv unter Leitung von Frau Kontny und den Lehrlingen selbst gestaltet. Weitere Um- und Ausbauten übernahm dann die KIM (Kombinat Industrieller Mast – Frischeierbetrieb und Aufzucht der Küken in Radeburg). Der neuentstandene Speiseraum beinhaltet die heutige Fläche der Arztpraxis von Frau Dr. Taha. Aus dem ehemaligen Waschhaus wurde eine Bauernstube. Durch den Ausbau des Bodens 1973/74 konnte die Internatskapazität auf 160 Betten aufgestockt werden. Es ließen sich überwiegend Mädchen aus dem ehemaligen Bezirk Dresden sowie aus Cottbus, Königswusterhausen und Magdeburg in Radeburg ausbilden. Mit der Wende endete am 30.06.1991 die Ausbildung. Die Übergangszeit bis zur Privatisierung 1993 war nicht einfach. Man war aber immer bestrebt, das Gebäude zu nutzen. So wurden z. B. die Internatszimmer zur preiswerten Übernachtung für Monteure angeboten. Aus dieser Zeit stammt auch der Name „Moritz“ für die Beherbergungsstätte in Erinnerung an den Bürgermeister und Initiator der Haushaltungsschule Moritz Richter. Der private Investor richtete im Rundsaal die Gaststätte „Zum Moritz“ ein. 1994 wurden die ersten fünf Hotelzimmer fertig. 1995 kamen noch zehn dazu.
Parallel nahm der Pflegedient „Engel“ seine Arbeit auf. Der Pflegedienst arbeitete im Gegensatz zu Hotel und Gaststätte sehr erfolgreich. Es wurde deshalb ein neues Konzept „Betreutes Wohnen im Seniorenheim“ entwickelt. Dazu baute man das Gebäude an der Schulstraße um. Der Versuch 2001 zur erneuten Nutzung des Rundsaals als Gaststätte scheiterte.
Der Investor, der 21 Wohnungen eingerichtet hatte, ging 2009 in Insolvenz. Die von der Sparkasse Leipzig daraufhin unternommenen Versteigerungsversuche des Gebäudes blieben erfolglos. Die Stadt Radeburg mit dem damaligen Bürgermeister, Herrn Jesse, konnte das Haus von der Sparkasse Leipzig zurückkaufen. Der „Moritz“ befindet sich seither wieder im Besitz der Stadt und es hat sich damit ein Kreis geschlossen. Den Pflegedienst übernahm der Arbeitersamariterbund Dresden & Kamenz GmbH, welcher sich kontinuierlich vergrößert hat.
Wer sich noch mehr mit der Vergangenheit dieses Gebäudes befassen möchte, kann im Heft „Berufsund Haushaltungsschulen und ein Moritztreff 100jähriges Gebäude“ der Schriftenreihe der AG Stadtgeschichte aus dem Jahre 2011 nachlesen. Das Heft ist über den Kultur- und Heimatverein zu erwerben.
Während dieser interessanten Vorträge, die mit passenden Lichtbildern durch Herrn Prendel vom Kultur- und Heimatverein untermalt waren, konnten viele Senioren/- innen in Erinnerung schwelgen z. B. an ehemalige Klassenkameraden, Bekannte, Tanzveranstaltungen und Feiern. Man muss bedenken, dass die Lehrlinge aus den 1950/60er Jahren inzwischen auch schon Rentner/-innen sind.
Nun schloss sich der zweite Teil des Programms an. Frau Funke und Frau Mager, ebenfalls von der Wohnungsverwaltung, führten in zwei Rundgängen parallel durch das Haus. Dies war aufgrund des großen Andrangs notwendig geworden. Dabei konnten die Gäste beim Gang durch die Treppenhäuser einen Blick in die Praxis von Frau Dr. Taha werfen. Auch die Außenanlagen wurden vorgestellt. In die Wohnungen (Betreutes Wohnen) konnte man nicht schauen, da sie alle belegt sind. Übrigens erfolgt die Vermietung dieser Wohnungen über die Radeburger Wohnungsgesellschaft. Interessenten melden sich dort. Die Nachfrage ist groß. Danach wird mit dem ASB ein Vertrag zur Betreuung geschlossen.

Zum Schluss möchte ich den Veranstaltern im Namen aller Anwesenden für den schönen Nachmittag danken. Wir Radeburger können froh sein, dass dieses traditionsreiche Gebäude mit der markanten Fassade so erhalten wird und uns gleichzeitig die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Arztpraxis, Pflegedienst und Betreutem Wohnen gibt. Das in seiner Stadt zu haben, ist viel wert. Der nächste Moritz Treff findet am Mittwoch, dem 20. März 2019 statt. Wir werden zusammen mit dem Chor des Kultur- und Heimatvereins singen.