Der Hammerschänkenmord aus zwei Perspektiven: MDR und RCC

November 1964 - in Radeburg wird traditionell der Karneval gefeiert. Doch ein Mord wirft die Pläne des Elferrats über den Haufen. Am Mittwoch, dem 9. Dezember, wiederholte der MDR die Sendung "Der Hammerschänkenmord" aus der Reihe "Kripo live - Tätern auf der Spur" mit Peter Escher. Er erzählt aus der Perspektive der Kriminalisten. Eine andere Perspektive können sie in dem Buch "Fasching und Karneval in RABU" kennenlernen. Es ist die Perspektive der Karnevalisten. Auszugsweise drucken wir dieses Kapitel aus dem Buch hier ab. Unter dem Beitrag finden Sie Links zur Sendung und zum Erwerb des Buches. Sie unterstützen mit dem Kauf die Produktion des 2. Bandes.

Narrenpolizisten mit Delinquenten

Sieht so aus, als ob die Narrenpolizei den Hammermörder gefasst hat. Ob hier aber tatsächlich Schurichts Verhaftung nachgestellt wurde ist nicht überliefert. So viel scheint sicher: die Szene ist aus der 10. Saison (1966/67). Vielleicht kennt ja jemand den einen oder anderen der Akteure noch. Foto: (C) RCC-Archiv

Ihr müßt wissen, es gibt ein Paar, das nie Prinzenpaar wurde, auf das die alten Karnevalisten aber trotzdem immer wieder zu sprechen kommen: Paul und Else. Legenden ranken sich um die beiden – von der Wahrheit um so schwerer zu trennen, seit das DDR-Fernsehen eine Folge der Reihe „Polizeiruf 110“ über einen Doppelmord drehte. Manche Erzähler schließen eigene Wissenslücken gern mit Episoden aus dem Film.

Doch es bleiben auch Fakten, die wir schon deshalb getrost wiedergeben können, weil sie im Film nicht vorkommen oder durch Dokumente belegt sind.

Da sind Erinnerungen an den Müller Paul Thomschke, der nach dem Tod seiner Frau mit seinen drei Söhnen Aufnahme bei einer Müllerswitwe Martha Känner fand. 1933 richtet er in der Mühle wieder einen Gewerbebetrieb ein. Das steht im Grundbuch. (1) Der jüngste Sohn Werner berichtet von den Schikanen der Stiefmutter. (2) Paul wird es eines Tages zu bunt, da ja er jetzt im Grundbuch steht, schmeißst er Martha Kenner und ihre Töchter raus. Für die Öffentlichkeit sieht es aus wie Heiratsschwindel: durch Betrug ist er an die Mühle gekommen. (3)

In den Hungerjahren, so berichten Freunde, hat er an Mittellose auch mal Mehl kostenlos rausgegeben – das Folgende halten sie für üble Nachrede. Weniger Wohlmeinende berichten, im „Normalfall“ habe er gehandelt wie auf einem arabischen Basar – und wenn er für sein Mehl „den letzten Krempel“ angeboten bekam – er nahm ihn. Und wenn Frauen sagten, sie hätten nichts, soll er gesagt haben: „Doch, Sie haben was…“(3)

Zwei seiner drei Söhne fielen im Krieg, der Jüngste, Werner, desertierte zu den Amerikanern. Irgendwann stellte Paul die am 13. Februar 1945 in Dresden ausgebombte Elsa Ramm als Haushälterin ein.

Paul kommt beizeiten mit, daß durch Kollektivierung der Landwirtschaft die Müller unters Preisdiktat der LPGen fallen. Bereits 1953 verpachtet er die Mühle an seinen inzwischen heimgekehrten Sohn Werner für 1.800 Reichsmark.(1) Nein, er verschenkt nichts.

Sein Vermögen investiert er in den heruntergekommenen Hirsch. Er baut um, Gasheizung, Bar, Gästezimmer - und verpachtet das Hotel an Elsa Ramm. Seit dem sind die beiden dort als „Paul und Else“ zu Gange – und sind natürlich auch für Fasching und Karneval da – ab 1958 auch für den Elferrat.

Paul sah sich das Drama mit dem Lindengarten eine Zeit lang an. Er überlegte… Schon beim Maskenball 1962 führte er den neuen großen Saal vor und es war nun nur eine Frage der Zeit, und der Elferrat begriff, daß der „Hirsch“ auch für die Prunksitzung die einzige Alternative zum „Lindengarten“ war.

Pauls Art war sicher nicht jedermanns Geschmack, sorgte aber für Respekt. Das war notwendig, um ein Haus erfolgreich zu bewirtschaften, in dem sich gleichzeitig an die sechshundert, siebenhundert alkoholisierte Leute aufhalten konnten. Seine „volkstümlichen“ Ansichten, die er unerschrocken äußerte, machten ihn zum „Moderator“ jeder Stammtischrunde und den „Hirsch“ zum Mittelpunkt des öffentlichen Lebens in Radeburg.

Ein Beispiel? Paul war klein Freund des Volkseigentums und stellte gern heraus, daß sich sein Eigentum (Reichtum) aus eigener Leistung begründet. Einer seiner oberlausitzer Mundart-Sprüche soll gewesen sein: „Das (Volkseigentum) ham die itze alles gemaust, aber wennse merrken, daß das Arrweit macht, wernse de Finger darvon lassen“.

Mit der Obrigkeit stand er immer seit je auf Kriegsfuß. Durch die Nazis hatte er zwei Söhne verloren und der Jüngste kam in der DDR nicht zurecht. Als er sich am 21. Juli 1960 gen Westen davon macht, wird Paul untersagt, den Mühlenbetrieb „weiterführen zu lassen oder Inventar zu entnehmen ohne Genehmigung des Bürgermeisters“. (1) Das kommt einer Enteignung gleich.

Als ein Pianist bei einem Abendprogramm aus Jux eine Sequenz des Deutschlandliedes spielte, wurde er angezeigt. Paul mußte „zur Klärung eines Sachverhaltes“  beim Staatsanwalt antanzen und machte von Anfang an einen auf schwerhörig. „Wie bitte? Sie müssen lauter rräden. Ich versteh Sie so schlecht!“ Und als der Beamte dann zur Sache kam zuckte Paul mit den Schulter: „Ich hab nischt gehört - ich hör ä bissl späte, wissense!“ Die Sache verlief im Sande.

Andreas Georg erinnert sich noch an seine Zeit als Elferrat. Noch vor dem Umbau des großen Saales gab es eine Art Biergarten/Clubzimmer!? In diesem tagte besagter Elferrat. Paul und Elsa sahen ab und zu nach dem Rechten um sicherzugehen, daß die Elferräte auch gut versorgt sind – und brachten auch ab und zu mal einen Schnaps vorbei. Wenn Paul eine Nikolaschka-Runde brachte, sagte er: „Der geht aufs Haus. Aber sagt der Else nichts.“ Wenn Elsa einen Nikolaschka-Runde brachte, sagte sie: „Der geht aufs Haus. Aber sagt dem Paul nichts.“

Der schöne neue Saal war natürlich noch nicht ganz so perfekt, wie es die Karnevalisten grn gehabt hätten. Als in der siebenten Saison Rabu kopfstand, mußte zur Realisierung der kreativen Ulbrichtschen Bühnenideen ein Loch in die Bühnenwand gesägt werden. Ruth Ulbricht erinnert sich: „Paul und Else hätte das nie erlaubt, also haben wir das heimlich gemacht und haben es nach der Prunksitzung auch fein säuberlich wieder zugemacht.“ (4)

Bei dem Vorhaben kam den Narren entgegen, daß ausgerechnet Anfang November Paul von einem Blutsturz heimgesucht wurde und ins Krankenhaus mußte.

Der Mann, der das letzte Mal ein Krankenzimmer von innen gesehen hatte, als seine erste Frau starb, war sich plötzlich bewußt: es könnte ganz plötzlich zu spät sein. Im Todesfall würde alles sein Sohn Werner erben und es könnte genau so ausgehen, wie mit der Mühle. Was würde aus Else werden? Also bestellte er sie und den Pfarrer ans Krankenbett. Am 7. Dezember 1963 heirateten sie. „Bis daß der Tod Euch scheide…“ Der Tod sollte sie nicht scheiden – und er sollte nicht einmal mehr ein Jahr entfernt sein.

„Lieber Paul und liebe Else", schrieb der Elferrat noch, „wir möchten nicht versäumen. Euch für Eueren gemeinsamen Lebensweg alles Gute zu wünschen. Wir wünschen vor allen Dingen Dir, lieber Paul, eine recht baldige Genesung und der Else die erforderliche Kraft zur erfolgreichen Weiterführung des ‚Hirsches’.

Zunächst sah es so aus, als würde sich der Wunsch des Elferrates erfüllen. Paul kam wieder auf die Beine. Doch dann kam der 2 November 1964…

Der Elferrat probte für die Prunksitzung zur anstehenden Saisoneröffnung am 11.11. Es wurde spät. Die Karnevalisten gehörten zu den letzten, die Paul und Else lebend gesehen hatten, als sie kurz nach Mitternacht den Hirsch verließen. Der allerletzte, der die beiden lebend sah, hieß Klaus Schuricht. Er hatte sich auf der Toilette versteckt und wartete bis Ruhe im Hause eingetreten war. Dann begann er sein grausames Werk. Er erschlug zunächst in der Küche die Elsa mit einem Hammer und erdrosselte dann den Paul, der schon zu Bett gegangen war, in seinem Schlafzimmer mit einer Telefonschnur. Danach warf er den Halbtoten in den Brunnen an der Kellertreppe und danach auch Else Ramm. Anschließend beseitigte er die Spuren seiner Tat, wischte das Blut weg und warf Wischeimer und Tatwerkzeuge ebenfalls in den Brunnen, den er zumauerte. Das Ziel seiner Aktion: der immer klamme Versager Schuricht wollte an das Geld der Thomschkes. Ungefähr 800 Mark fand er im Haus, das meiste in Form von Münzen, fein säuberlich in Zigarrenkartons einsortiert.

Da Dienstag und Mittwoch Ruhetage waren, dauerte es noch bis zum Donnerstag, ehe die grausige Tat entdeckt werden sollte. Schon bald fiel den Mitarbeitern der zugemauerte Brunnen auf. Neben den Leichen wurde auch der Hammer gefunden, der Schuricht später endgültig überführen sollte.

Am 6. November teilte Bürgermeister Schild dem Elferrat förmlich mit, daß, „wie Ihnen bekannt ist … das Gaststätten-Ehepaar Paul und Elsa Thomschke, Radeburg, Hotel Hirsch, in der Nacht vom 2. zum 3. November 1964 auf bestialische Weise ermordet (wurde). Dieser Doppelmord erfordert schon zur Beruhigung der Bürger eine eingehende Untersuchung zur Ermittlung des oder der Täter, die kaum vor 14 Tagen abgeschlossen sein dürfte. Deshalb muß der Rat der Stadt bis auf weiteres Spielverbot anordnen.“ (5)

Bei Gerhard Ulbrich war schnelles Handeln gefragt. Schon am Montag, dem 7. November war die Staatsanwaltschaft zur der Aufnahme des Nachlasses der Thomschkes im „Hirsch“. Allerdings hatten die Karnevalisten bereits in Vorbereitung der Prunksitzung etliche Gegenstände – vom Flügel aus der Berufsschule über Dekoration bis zur Beschallungsanlage im „Hirsch“ untergebracht. Es genügte nicht, daß sich die „Eigentumsfrage“ für diese Sachen irgendwann aufklären würde – man brauchte dringend diese Gegenstände! (6)

Am 11.11. fand die Prunksitzung in stark reduziertem Rahmen in Ratskeller statt. Besonders traurig für die Radeburger: eigentlich sollte die populäre Uwe-Schikora-Combo spielen. Doch diese konnte sich dann am 23. Januar zum Kappenfest und am 20. März zur Auszeichnungsveranstaltung zum Narren machen. (Faksimile: Handschrift von Schikora) Die Band war damals ein Ereignis und vor allem die damals jugendlichen (heute 60jährigen) Teilnehmer schwärmen noch immer davon.

Als Prinzenpaar wurden am 11.11. Günter I und Gisela I gekürt. Sicher geschuldet dem ganzen Trubel um den Doppelmord war Prinz Günter I so aufgeregt, daß er ständig „Toiletten“ sagte, statt Tollitäten. (6a) Frau J. mußte darüber so lachen, daß sie – wie passend - das Wasser nicht mehr halten konnte. (7) Aber Günter Lenz „stabilisierte“ sich. Seine Auftritte als „Tamara (so schön bist du)“ und „Heidi, Heidi“ sind seinen Zeitgenossen unvergessen. Bis zur 25. Saison war er Elferrat und machte sich unsterblich verdient als Minister für Ordnung und Sicherheit sowie, dank seiner Fähigkeiten als KfL-Spezialist, bei der Planung, Konstruktion und Fertigung des Fahrenden Hutes, (6a) mit dem der Elferrat von den 70ern bis in die 90er durch den Umzug schipperte.

Doch zurück zum Doppelmord. Ihr glaubt nicht, daß der Täter es an jenem Abend drauf hatte, in den Ratskeller unter Leute zu gehen – und sich dann noch derart dämlich in Verdacht zu bringen. Klaus Schuricht, der sonst immer klamm war, entblödete sich nicht, dem ganzen Elferratstisch einen auszugeben – und eine Runde, die gut 20 Mark gekostet hat, dann mit Münzen zu bezahlen. Und damit es richtig auffällt, gleich noch eine solche runde, und noch mal mit Münzen. Bürgermeister Schild, der mit am Tisch saß und darüber im Bilde war, daß bei den Thomschkes vor allem die Zigarrenkisten gelehrt worden waren, gab der Kripo schon am nächsten Morgen einen entsprechenden Hinweis. (8)

Radeburg, in Ostssachsen bisher leidlich bekannt durch den Karneval und in Berlin unbekannt trotz Zille, wurde nun DDR – nein: deutschlandweit bekannt wegen des Doppelmordes. Der Stadtrat befürchtete wohl Pilgerströme zum Tatort und wollte den Makel vom „Hirsch“ nehmen, indem er ihn umtaufte. Der Elferrat stellte sich schriftlich gegen eine Umbenennung in „Klubhaus“ oder „Kulturhaus“. „Die Erfahrung zeigt, daß der Volksmund dennoch weiter die alte Bezeichnung pflegen wird." Das Beispiel „Lindengarten“ wurde genannt. Der hieß im Volk ja weiterhin „Schützenhaus“. (9) Doch ein Elferrat sollte sich selbst widerlegen. Da draußen überall die Fahndungsplakate hingen, die die Tatwaffe abbildeten, war es nur eine Frage der Zeit. vermutlich Werner Ilgner machte den Namensvorschlag „Hammerschänke“, und wir wissen heute: „Die Erfahrung zeigt, daß der Volksmund sich manchmal auch eine neue Bezeichnung ausdenkt, obwohl das Haus den alten Namen weiter führt.“

Quellen:

  1. Chronik des Ortsteiles Rödern der Gemeinde Ebersbach, Archiv der Gemeinde Ebersbach
  2. Werner Thomsche, Lebenserinnerungen, Privatbesitz von Rita Jühnemann, Lerte
  3. protokollierte Aussagen von Zeitzeugen, Namen sind der Redaktion bekannt
  4. protokollierte Erinnerungen der genannten Personen
  5. Archiv des RCC, Saison 1964/65, Schreiben des Bürgermeisters vom 6.11.1964
  6. ebenda, Scheiben des Elferrats an den Beauftragten des Bezirksstaatsanwaltes vom 7.11.1964 (6a) (Rede zur Silberhochzeit von Günter und Gisela Lenz), „Im Oktober 1982…“, Archiv des RCC, Akte 1982/83
  7. protokollierte Erinnerungen von Ruth Ulbrich.
  8. protokollierte Erinnerungen von Kurt Georg und Ruth Ulbrich.
  9. Archiv des RCC, Saison 1964/65, Elferrat an den Rat der Stadt Radeburg, 2.12.1964

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