Besser streiten in Radeburg!

Bereits am 5. November 2015 wurden Friedensrichterin Rita Goldschmidt und deren Stellvertreterin, Annette Naumann vom Stadtrat berufen. Nach zwei Jahren in diesem Amt kommen sie zu dem Schluss, dass sie durchaus mehr in Anspruch genommen werden könnten. Wir führten dieses Interview, das zuerst in unserer Druck-Ausgabe zum Jahreswechsel veröffentlicht wurde.

Radeburgs Friedensrichterinnen Rita Goldschmidt und Annette Naumann

Radeburgs Friedensrichterinnen Rita Goldschmidt und Annette Naumann

Wozu braucht man Friedensrichter?

Goldschmidt: Das Prinzip der Schiedsstellen hat eine lange Tradition. Bereits 1827 wurden die ersten Schiedsmänner ins Amt berufen. Später in der DDR waren es dann Schiedskommissionen, die diese Funktion übernahmen. Heute ist das Schiedsamt durch Gesetze der einzelnen Bundesländer und Verwaltungsvorschriften der entsprechenden Justizministerien geregelt.

Sie sagen Schiedsmänner, aber Sie nennen sich doch Friedensrichterin...

Goldschmidt: In 12 Bundesländern ist es bei Privatklagedelikten und in manchen Bundesländern auch bei Zivilstreitigkeiten vorgeschrieben, vor der Anrufung eines Gerichts einen Schlichtungsversuch zu unternehmen. Das ist dann unsere Aufgabe. Der Unterschied in der Bezeichnung kommt aus der Politik. In den neuen Bundesländern werden Schiedsstellen und in den alten Bundesländern Schiedsämter eingerichtet. Und nur in Sachsen gibt es die Bezeichnung Friedensrichter/-in, in allen anderen Bundesländern werden Schiedspersonen berufen.

In allen Bundesländern gibt es also Schiedspersonen, nur in Sachsen gibt es Friedensrichter?

Naumann: Ja, nur in Sachsen werden die Schiedspersonen als Friedensrichter/-innen ins Amt berufen. Es gibt aber auch Bundesländer, die auf eine außergerichtliche Schlichtung verzichten. Da bleibt bei Streitigkeiten dann nur der Gang zum Rechtsanwalt. Was ich sehr schade finde.

Welche Bundesländer sind das?

Naumann: In Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Bremen werden keine Schiedspersonen berufen.

Sie sind zu zweit, wie verteilen sich die Aufgaben?

Naumann: Die Stadt Radeburg hat eine Friedensrichterin und mich als Stellvertreterin berufen. Die Aufgaben werden von uns Beiden gleichberechtigt wahrgenommen. Während den Verhandlungen leitet die Friedensrichterin das Mediationsgespräch und ich protokolliere.

Was ist das genaue Aufgabenfeld?

Goldschmidt: Unsere Aufgabe ist das Erreichen einer gütlichen Einigung bzw. einer Kompromissbildung bei Streitigkeiten. Die Inhalte sind vielfältig.

  • Nachbarschaftsstreitigkeiten wegen z.B. Überwuchs (Äste, Wurzeln), Hinüberfall (Laub,Früchte), Grenzbaum, Lärm, Rauch, etc., Grenzabstände von Pflanzen
  • Verletzung der persönlichen Ehre 
  • Beleidigung
  • Körperverletzung
  • Sachbeschädigung
  • Hausfriedensbruch
  • Bedrohung
  • Verletzung des Briefgeheimnisses

Naumann: Ein breites Spektrum von Aufgaben und Kompetenzen sind in der Funktion der Friedensrichterin vereint. Man kann sich die Arbeitsweise wie eine Mediation, also eine Streitschlichtung vorstellen. Im Gegensatz zu einem Rechtsstreit vor Gericht, bei dem der Richter Gewinner und Verlierer benennt, ist es unser Anliegen zwischen den Partien zu vermitteln und eine gemeinsame Lösung zu finden mit der dann alle gut leben können.

Wann sollte man zur Friedensrichterin in die Sprechstunde kommen?

Goldschmidt: Am besten so zeitig wie möglich. Wenn Sie eine Auseinandersetzung mit anderen Personen haben und Sie der Meinung sind, hier können Sie nichts mehr ohne Hilfe ausrichten, dann wäre es sinnvoll, Sie kommen in unsere Sprechstunde.

Was erwartet mich da?

Naumann: Das erste Gespräch ist völlig unverbindlich. Es hat zum Inhalt die Angelegenheit umfassend zu besprechen und die wesentlichen Punkte herauszuarbeiten die Gegenstand des Streites sind. Es werden die Personen benannt, die zum Entstehen des Streites beigetragen haben. Gemeinsam werden Lösungswege erarbeitet, die zur Konfliktlösung führen können. Im besten Fall führt schon ein nochmaliges Gespräch mit der Gegenpartei unter veränderten Vorzeichen zum Erfolg. Dazu können wir Ihnen verschiedene Möglichkeiten der Gesprächsführung vorschlagen.

Goldschmidt: Ist die Angelegenheit jedoch sehr verhärtet oder der Antragsgegner ist nicht zugänglich, dann wird auf Antrag des Antragstellers ein Schlichtungsverfahren eröffnet. Wichtig ist dabei zu wissen, wir führen keine Rechtsberatung durch. Natürlich wird geltendes Recht berücksichtigt. Die Lösung kann aber auch von gesetzlichen Vorschriften wie Mindestabständen, Wegerecht, Ruhezeiten usw. abweichen, wenn beide Parteien sich einigen können und die Lösung umzusetzen ist.

Naumann: Wie gesagt, wir sprechen kein Recht. Wir finden Lösungen, durch deren Umsetzung beide Parteien ihren Streit beenden können. Die Lösung wird protokolliert und hat dann einen rechtsverbindlichen Charakter. Woher nehmen sie die Kenntnisse und Kompetenzen für ihre Arbeit als Friedensrichterinnen?

Goldschmidt: Die Kompetenz hat uns die Stadt Radeburg erteilt. Friedensrichter werden vom Stadtrat gewählt. Danach erfolgt die Amtseinführung durch die Vereidigung im Amtsgericht Meissen. Wir wurden durch den Vorsitzenden des Amtsgerichtes Herrn Michael Falk im Januar 2016 vereidigt.

Naumann: Frau Goldschmidt ist Diplom-Ingenieur Ökonomin, Mediatorin an der Oberschule Radeburg und Systemische/ Energetische Beraterin. Diese Ausbildungen geben ihr das Rüstzeug, eine erfolgreiche Streitschlichtung durchzuführen. Gebürtig in Dresden und aufgewachsen in Neusörnewitz ist sie seit 1997 Radeburgerin. Sie hat drei erwachsene Kinder und 4 Enkelkinder.

Goldschmidt: Ich fühle mich in Radeburg sehr wohl. Es ist eine junge Stadt mit vielen Familien. Hier ist Sport und Kultur zu Hause und den Karneval habe ich inzwischen auch lieben gelernt.

Naumann: In meiner Arbeit mit den Kindern, ich bin Hort-Erzieherin im Hort der 43. Grundschule Dresden-Kaditz, habe ich fast täglich mit Streitschlichtungen zu tun. Ich bin der festen Überzeugung, dass mit gegenseitigem Zuhören, Verständnis und Einfühlungsvermögen und etwas gutem Willen von beiden Parteien, gemeinsame Lösungen gefunden werden können.

Goldschmidt: Unsere Kenntnisse haben wir in unserem Leben gesammelt. Und natürlich erfolgt durch den Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen eine umfangreiche Schulung. Frau Naumann (52) ist Horterzieherin und hat eine hervorragende Pädagogische Ausbildung. Als gebürtige Radeburgerin kennt sie die Stadt und ihre Bewohner von Kindesbeinen an. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Und soeben ist ihr erstes Enkelkind geboren.

Naumann: Worüber ich sehr glücklich bin.

Welchen Vorteil hat es für die Bürger, zu Ihnen zu kommen und nicht gleich zum Rechtsanwalt oder dem Gericht zu gehen?

Naumann: Die Schlichtungsverhandlung hat den Vorteil, dass es hier keinen Gewinner und Verlierer, wie es vor Gericht meist der Fall ist, gibt. Ein weiterer Vorteil von Schiedsverfahren gegenüber Verfahren an Gerichten ist, dass diese erheblich kostengünstiger sind und eine zeitnahe Auseinandersetzung stattfindet.

Sie sind schon zwei Jahre im Amt, wie viele Schlichtungen haben sie schon durchgeführt?

Goldschmidt: Die überwiegenden Fälle sind in unserem Sprachgebrauch „Tür und Angelgespräche“. Dabei wird der Streitgegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln besprochen. Durch die Veränderung der Herangehensweise gegenüber der Gegenpartei kommt es in 90% der Streitfälle zu einer gütlichen Einigung ohne Schlichtungsverhandlung. Zählen wir alle Verhandlungen und „Tür und Angelgespräche“ zusammen, haben wir bisher 48 Personen bei der Findung einer einvernehmlichen Lösung begleitet. In drei Fällen konnte die Einigung nur durch die Durchführung einer Schlichtungsverhandlung herbeigeführt werden.

Was wünschen sie sich für 2018?

Goldschmidt: Das bekannteste Beispiel für unsere Arbeit ist der berühmte „Maschendrahtzaun“. Mit dieser lachsen Formulierung möchten wir auf keinen Fall die Dramatik für die beteiligten Personen bagatellisieren. Oft ist der Leidensdruck, den solche Streitereien in der Nachbarschaft hervorrufen, sehr hoch. Wir wünschen uns, dass die Radeburger, Bärwalder, Dittsdorfer, Bodener, Berbisdorfer, Bärnsdorfer, Cunnertswalder und Volkersdorfer den Weg in unsere Sprechstunde finden, bevor ihre Lebensqualität durch Streit schon erheblich beeinträchtigt ist.

Naumann: Sie erreichen uns jeden ersten Dienstag im Monat von 17 bis 18 Uhr im Bürgerbüro gegenüber dem Rathaus, Heinrich-Zille-Straße 11.

Danke für das Gespräch.