Nachdem Frau Hentschel jedem einen Kaffee auf den Platz gestellt hat und nach etwas Small Talk lehnt sich der Mittvierziger, der athletisch und fit wirkt, zurück und lächelt: „Ach, für mich ist es hier optimal. Der Arbeitsweg von Laußnitz bis hier ist kurz. Ich kann hier abschließen, nach Hause fahren und dann bin ich privat.“ Man muss ihn gar nicht erst fragen, ob er aufgrund der Coronakrise jemals Bedenken hatte, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen. Man muss ihn eigentlich überhaupt nicht viel fragen. Er erzählt einfach seine Geschichte.
Seit 1992 ist er in der „Tor-Branche“ unterwegs. In der Wendezeit hatte er Schlosser mit Abitur gelernt, wollte eigentlich Maschinenbau studieren, die bekannten Studiengänge waren aber alle ohne Perspektive, der Markt lockte und das schnelle Geldverdienen. „Ich musste zum Glück auch nicht zum Bund, das war damals so. Wenn man zwei Brüder hatte, die den Grundwehrdienst in der NVA absolviert hatten, konnte man eine Freistellung beantragen. Ich habe in Thüringen gelernt, bin beim nach Hause trampen viel mit Außendienstlern mitgefahren und habe da erkannt: das ist genau das, was Du machen willst.“ Damals war ja vieles möglich und so wurde Enrico Gräfe zum Außendienstler im Industrietorbereich. Von 2000 bis 2020 war er dann bei der NOWOTNIK Metallverarbeitung & Toranlagenbau GmbH in Riesa Vertriebsleiter. Für diesen reinen Rolltor-Produzenten und Zulieferer für andere Torhersteller bearbeitete er den europäischen Markt „von der Schweiz bis Rumänien“.
"Ich hatte dort als Vertriebler einen komplett eigenständigen Bereich. Die Marktsituation war so, dass es in ganz Deutschland in unserem Segment nur zwei, drei ernst zu nehmende Wettbewerber gab. Der Job, der Arbeitsbereich und das Produkt waren top und man konnte gutes Geld verdienen, aber irgendwann fehlte da nach 20 Jahren auch der Reiz. Vor allem fehlte mir der Kundenkontakt, wie ich ihn als Außendienstler hatte. Ich hatte damals schon mein Homeoffice in Laußnitz, bin also früh hoch in mein Büro gegangen und abends wieder runter. Das war irgendwann nicht mehr so erfüllend.“
Im späten Frühjahr 2020 kam Gerhard Hentschel auf ihn zu. Die beiden kannten sich als „Torbauer“, waren aber keine unmittelbaren Konkurrenten, denn sie bedienten unterschiedliche Kundenkreise. Aber mit dem Gedanken, sein eigener Chef zu sein, hatte Enrico Gräfe schon länger gespielt. „Im Alter von 47 Jahren wurde es höchste Zeit, das umzusetzen, mich noch mal neu zu motivieren, noch mal durchzustarten, den Kopf noch mal anzustrengen.“
Sich für die Firma Hentschel zu entscheiden sprach, dass er ein laufendes Unternehmen mit seinem Wissen und seinen Kontakten zu Herstellern und Lieferanten ergänzen konnte. „Mein über die Jahre aufgebautes Netzwerk konnte ich in ein sehr gut funktionierendes Unternehmen einbinden, bei dem die Geschäftszahlen und das Betriebsklima stimmen. Es ist schwer, gutes Personal zu bekommen. Der Betrieb hat sehr gute Mitarbeiter, die arbeiten wollen, die zu schätzen wissen, dass wir hier einen sehr strukturierten Tagesablauf haben und froh sind, dass Ihr Arbeitsplatz erhalten geblieben ist und wir sehr erfolgreich ins neue Geschäftsjahr gestartet sind.“
Nach der Übernahme im Januar hat Enrico Gräfe das Geschäft gestrafft. Die Bereiche wie Markisen, Sonnenschutz und Infrarotheizungen wurden aus dem Sortiment genommen. Sich auf die Kernkompetenzen zu fokussieren war ihm auch beim Einstieg wichtig, denn nur so kann man Spitzenqualität abliefern. Es blieb das, womit er und die Mitarbeiter sich am besten auskennen, Toranlagen jedweder Art, als Neuanlage oder deren Reparatur und Service. „Meine Strategie ist, langsam und vernünftig zu wachsen. „Mehr Umsatz ist nicht automatisch mehr Gewinn. Wir wollen da also auch keine Sprünge machen, die riskant sind. Aufgrund der guten Auftragslage mussten wir allerdings schon einen neuen Monteur einstellen und einen weiteren Transporter erwerben.“
Auch zur Nachwuchsgewinnung hat sich Enrico Gräfe schon Gedanken gemacht. Ehe er aber ausbilden will, will er sich erst einmal selbst eingearbeitet haben. Seine Überzeugung ist: „Lehrlinge sind nicht nur dazu da den Hof zu kehren, sondern sollen auch was lernen und da muss ich erst einmal Klarheit haben, wie sie sinnvoll einzusetzen sind. Dafür brauche ich noch etwas Zeit.“
Enrico Gräfe hat das Unternehmen komplett gekauft. Großes Lob an die Ostsächsische Sparkasse und besonders deren Berater Herrn Haase, die da in allen Belangen voll mitgezogen hat. Wir haben eine Firmenübernahme gemacht, bei der nur der Name gewechselt wurde.
Und wenn er „privat“ ist, dann ist er gerne immer noch, wie seit vielen Jahren „Vereinsmeyer“. Er war jahrelang in Laußnitz Präsident des Karnevalsclubs, jetzt 2. Ehrenpräsident und als solcher auch immer noch aktiv. Von Gerhard Hentschel wird er die Verträge mit Grün-Weiß Ebersbach übernehmen, unterstützt aber auch „seinen“ Laußnitzer Verein weiter, an dem sein Herz hängt. Vor allem die Garden, die im karnevalistischen Tanzsport unterwegs sind und dort viele Erfolge gefeiert haben, brauchen große Unterstützung. „Für eine eher exotische Sportart ist es besonders schwer, Sponsoren zu finden, obwohl auch dort circa 70 Kinder und Jugendliche eine Freizeitbetätigung finden,“ erklärt er seine Ambitionen.