Radeburger Karneval: Was man hat, weiß man erst zu schätzen, wenn es weg ist / war.

Die 66. Saison des Radeburger Karnevals war endlich wieder eine. Und was für eine! Der Höhepunkt war der Straßenumzug am Faschingssonntag, dem 19. Februar 2023, den mindestens 20.000 Besucher live erlebt und mitgefeiert haben. Der Straßenumzug war zuvor zwei Jahre lang ausgefallen und zuletzt vor drei Jahren endete er im Festzelt. Wie passt da doch das Motto: „Mit 66 Jahren – da fängt das (Faschings-) Leben (wieder) an!“

 Gruppe Michael Mösch (Nr. 59)

Die Idee, mithilfe eines Balls mit den Zuschauern zu interagieren, sorgte am Ende des Umzugs noch mal für höher schlagende Herzen. Vielleicht das Quäntchen, das der Gruppe Michael Mösch (Nr. 59) den Gewinn des Jurypreises sicherte.

Mit zufriedenem Gesicht schlenderte Ex-Präsident Olaf Häßlich, nunmehr Ehrenpräsident, hinter dem Umzugswagen des Elferrates die Bahnhofstraße hinauf, wo sich ein Spalier an Menschen gebildet hatte, so dicht wie lange nicht. Er klatscht Hände ab, umarmt, lässt sich knuddeln. Endlich kann er mal nur einfach genießen, ohne Verpflichtungen, ohne Terminkorsett – und nun kommt nach Tagen auch noch ganz pünktlich die Sonne hervor!

Die Stimmung ist bestens. Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse und schon geht sie los, die Polonaise der 65 Umzugswagen. Sie schlängelt sich durch die schmalen Straßen unseres Röderstädtchens – nicht gerade mit ganz großen Schritten, eher vor zurück zur Seite ran, denn alle haben sich sooooo lange nicht gesehen. Immer wieder Stopps, Tanzeinlagen, Bonbonregen auf närrisch behütete Kindsköpfe. Immer wieder Reden, Schlachtrufe, gegenseitige Begrüßungen und Bekundungen ewiger Verbundenheit mit RABU, dem Narrenreich nördlich von Dresden.

Und dann kommen die ersten Umzugsgruppen für den Prämierungswettbewerb. 

Die Gruppe Lothar Lucke (Nr. 12) landet mit wabernden Außerirdischen in den Herzen des Publikums. Über dem Handwagen rotiert ein Weltempfänger, an dem ein Mini-Alien klebt. Sind das etwa die in Amerika jüngst gesichteten unbekannten Flugobjekte? Auf jeden Fall hat die Gruppe auch Astronauten dabei, die das klären könnten! Nach den „Quallen“ beim letzten Umzug noch einmal eine tolle Steigerung! Trotzdem wird es am Ende „nur“ Platz 13, weil so viele Gruppen so enorm zugelegt haben, wie wir gleich sehen werden.

Mit der Startnummer 16 verpasst der „66jährige Wein“ der Gruppe Lars Tennert aus Ebersbach die Top10 auch nur ganz knapp. Die Mädels in blauen und grünen „Weintraubenkostümen“, die Jungs guckten aus Weinfässern und hatten lustige Sprüche am Haupt kleben – wie z.B. „Trink mal drüber nach“. 

Die Gruppe Michael Prohaska (Nr. 19) war die erste von mehreren Gruppen, die aus 66 Jahren die Route 66 machten, was auch die optischen Aufmacher bei der Hirschsaal-Dekoration waren und was im Faschings-Heft übernommen wurde. Auf die 66 Jahre wurde aber dennoch angespielt – durch ein die Wüste Nevada durchfahrendes Skelett, das für reichlich Lacher beim Publikum sorgte.

Der Gruppe Uwe Lehmann (Nr. 26), die Gruppe mit dem Abo auf Platz 4,
hätte man sehr gewünscht, endlich mal auf Platz 3 zu kommen. Als die Gruppe vorbeizog, schien das auch im Bereich des Möglichen zu liegen. Mit einem bunten Blumenstrauß ehrte sie Ex-Präsident Olaf Haßlich, der RABU seit 1991 nicht nur aus den Untiefen der Wendezeit gelenkt, sondern auf einen ganz neuen Level geführt hatte.

Der aufwendig handgearbeitete überdimensionale Blumenstrauß aus Phantasieblumen und die dazu passend gestalteten Blütenkränze um die Köpfe der erwachsenen Gruppenmitglieder, die von den Kindern in Bienenkostümen umschwirrt wurden, machten sicher nicht nur dem nunmehrigen Ehrenpräsidenten Freude. Doch Vorsicht! Der „Blütenstaub“ auf den Gesichtern wechselte bei der „Interaktion mit dem Publikum“ schnell mal den Besitzer! Zum Ende „nur“ Platz 8.

Aber Uwe Lehmann sagte schon im Vorfeld: „Es geht uns gar nicht um die Platzierung. Wir machen hier einfach immer gerne mit und versuchen, den vielen Zuschauern etwas anzubieten. Teilnahme ist alles!“

Und dann ging es Schlag auf Schlag mit Top-Platzierungen. Die Gruppe Mandy Klotzsche (27) legte die gesamte Umzugsstrecke auf Händen laufend zurück! Eine Super-Idee, für die es am Ende Platz 9 und einen von zwei Sonderpreisen gab, die ein Novum sind in der Geschichte der Prämierungen. 

Weiter ging es mit Love, Peace and Harmony. „2 Jahre ohne RABU – heute ziehen wir uns die Rübe zu!“ meinte die Gruppe Falk Ziesche aus Rödern (Nr. 29), die sich mit einer Mischung aus Campingplatz- und Woodstock-Atmosphäre auf Platz 12 rauschte. Wenn man dem Zug hinterher sah, entdeckte man an der Rückwand des Zeltes die Beschriftung „Man soll ni alles globen - keine Macht den Drogen!“ und spielte da auf die aktuelle Legalisierungspolitik an. Am Umzugswagen angehängt rollte ein Sarg, der zum „Schrecken“ der Kinder am Straßenrand sich hin und wieder öffnete und unter dem Gelächter der überraschten Zuschauer den Blick auf eine „Leiche“ freigab. Das Bild korrespondierte hervorragend mit dem Lomnitzer Carnevals Club, die im Vampir-Style „Elixiere für ewige Jugend“ versprachen.

Mit der Blue Man Group, pardon… „Blumen“ Group aus Bärwalde und Bärnsdorf (Nr. 31) wurde der „Kampf um die Spitzenplätze“ eröffnet. Im Vorjahr hatten sie den „Lehmanns“ schon das Abo auf Platz 4 streitig gemacht. Nun hatten sie sich noch mal gesteigert und wie die Lehmanns auf Blumen gesetzt – quasi als Antwort auf ihren eher monochromen Auftritt beim letzten Umzug. Diesmal war alles farbenfroher, aber doch wieder sehr stilbewusst. Wer denkt sich sowas aus? „In großer Runde fanden wir die Idee, dann wurde ein Schnittbogen gemacht und vier „Schneiderinnen aus Leidenschaft“ mit Unterstützung von zwei ideenreichen Seniorinnen nähten die Kostüme und die passenden Accessoires. Ausschließlich Handmade!“ versichert Gruppen-Anmelder Jens Meister.

Mädchen und Frauen, wenn sie nicht ohnehin blond waren, trugen blonde Perücken und gelbe Oberteile, die den Blütenboden darstellten. Dazu Röcke in Pink, die den Kelch und die Blätter bildeten. Schwarze Strumpfhosen vollendeten das Erscheinungsbild. Begleitet wurden die Blumen von Fasstrommlern, die zu schwarzer Grundkleidung vom Schuh bis zum Zylinder dunkelgrüne, leicht ins türkis gehende Westen trugen, darüber gleichfarbige Fräcke und in dem Pink der Blütenblätter trugen sie Krawatten, Fliegen und Binder. Frack und Zylinder waren zudem ebenfalls mit gelb-pinken Blüten besetzt. All das Beschriebene wiederholte sich auf dem Umzugswagen. Der Diskjockey ja als Rhythmusgeber der Trommler an einem riesigen Mischpult mit goldenem Mikrofon. Hinter ihm noch einmal eine gelb-pinke Blüte, in dem als Gimmick ein kleiner, aus Trickfilmen bekannter Maulwurf mit RCC-Narrenkappe saß. Ja, wer wollte das überbieten? Am Ende landete man wieder vor den Lehmanns – aber „nur“ auf Platz 6, denn es sollte noch besser kommen. Die Jury war sich diesmal übrigens sehr einig.

Den hier schon mehrfach beschworenen vierten Platz holte sich „mit über 66 Armen“ der Mega-Tintenfisch der Gruppe Mandy Eichhorn. Auch hier gilt das zuvor Geschriebene. Was haben die alle für geniale Kostümbilder! Die Damen tanzten ganz in Schwarz, darüber mit lila Tüll abgesetzte Korsetts, aus denen violette Tintenfischarme wachsen. Dazu schwarze Plissee-Röcke, grandios gearbeitete Zylinder, auf denen je ein Octopus sich „festgesaugt“ hat. Im Zentrum des Ganzen ein meterhoher silberner Krake, dessen Arme von „Service-Männern“ (schwarze Hosen, weißes Hemd, schwarze Weste, Zylinder) gehalten wurden – nein, nicht nur gehalten… Damit „tätschelten“ sie das Publikum auf beiden Straßenseiten. Man hatte natürlich Angst, dass aus den Armen gleich glibberige Tinte kommt… Absolut coole Interaktion. Wow! Wenn das nicht der erste Platz ist, fress‘ ich ´nen Tintenfisch! Aber wir sind ja erst bei der Hälfte des Umzugs. 

Dann kamen schon die Bärnsdorfer um Markus Nicklich (Nr. 34). Auf dem Umzugswagen die Nachbildung eines rosa Chevrolets, der von den Mitgliedern des Bärnsdorferleben e.V. auf 66 heißen Reifen eskortiert wurde. Durchgehend im Rock’n roll Look, schwarz, weiß und rosa waren die bestimmenden Farben. Die Mädchen und Damen in den typischen weißen Petticoats mit schwarzen Punkten,  ebenso gefärbte Stirnbänder, Sonnenbrillen,  schwarze Oberteile, Accesoires in rosa. Die Jungs mit schwarzen Jacken und schwarzen Sturzhelmen, Rallyestreifen drauf – weiß und rosa natürlich. Und dann diese Fahrzeuge. Wer denkt sich sowas aus? Vorn die Kinder auf Trittrollern mit rosa Schutzblechen, die Damen mit „tragbaren Mopeds“, die Herren mit „Einrädern“ im Chopper-Stil. Die Chopper hatten zwar nur das Vorderrad, aber was braucht man Hinterräder, wenn man zwischen den Stoßdämpfern einen Getränkehalter hat! Als „Scheinwerfer“ dienten Karbidlampen, die sich bei näherem Hinsehen als Blechschüsseln mit angeklemmten Weihnachtsbaumlampen entpuppten. Am Ende kam Platz 7 heraus, weil es einfach so viele ganz tolle Gruppen gab, die nur Zehntel oder Hundertstel auseinander lagen.

Und da kamen schon die nächsten mit Ambitionen auf den Faschingssonntagumzugssieg –  mit Sahne und Eis machte die Gruppe Conny Ottlinger (Nr. 36, Rödern/Radeburg) auf Fasching heiß. Der Aufwand kennt da schon keine Grenzen mehr, denn tatsächlich wurde im Minutentakt echte Sahne in Cornetto-Waffeln ausgegeben! Die Vorhut der Gruppe einheitlich im rotweiß gestreiften Eisverkäuferlook, mit weißen Schiffchen auf den Köpfen. Aus umgehängten Kisten wurde Popcorn von den Akteuren verteilt. Die Eissorten auf den Speisekarten hatten kreative Abwandlungen der Namen der Gruppenmitglieder. Und hinter dem Eiswagen tanzten dann die bunten Früchteeisbecher. Unter den Sahnehauben Mädels, Frauen, die sich schon viele Jahre in die Herzen der Zuschauer – und der Jury – tanzen. Nach Tintenfischen und Blumen Group wusste man schon: das wird alles ganz eng. So war es dann auch. Ab Platz 12 bis Platz 2 am Ende nur jeweils 100stel Abstände! Platz 2 holte sich am Ende diese leckere Gruppe. Aber das Beste kommt bekanntlich zum Schluss und der war noch ein ganzes Ende entfernt!

Nur ein paar Nummern weiter sprach sich wie ein Lauffeuer herum: Eis oder Nudeln? Auf dem Umzugswagen der Gruppe Raiko Richter (Nr. 42) prangte ein riesiger Nudeltopf. Daran Gabel und Löffel, wobei die Gabel sogar mit Nudeln umwickelt war. Basilikum und Tomaten fehlten auch nicht. Köche mit riesigen Kochlöffeln sicherten das Fahrzeug seitlich ab. Dann folgten die gleichen „Botschaften“ noch mal auf Beinen. Das ist schon mal eine Idee, Mädels als Gewürze laufen zu lassen. Die Männer dagegen streckten ihre Köpfe aus den Nudeltöpfen, Nudeln quollen heraus und sogar an Blasen kochenden Wassers wurde gedacht. Schließlich kamen auch noch die Teller. Mädels in Röcken, die jeweils einen Tisch samt Teller darstellten, grün und rot passend zu Tomate und Basilikum, darauf die Nudelteller, passende „nudelfarbende“ Oberteile, der Kopfschmuck: ein Nudel-Tomaten-Basilikum-Mix, unter dem lange tomatenrote Haare quasi als feine Tomatensoße hervorliefen. Jede Haube anders. Handarbeit. Wer auf solche Ideen kommt. Wahnsinn. Die Geschichte dahinter ist, dass Mitglieder der Umzugsgruppe nach Faschingsveranstaltungen irgendwann noch zu jemandem nach Hause gingen, bei dem man sich dann an Nudeln sättigte – und das wurde irgendwie zur Gewohnheit: Nudelparty nach Faschingsveranstaltungen. Das hatte man jetzt zwei Jahre lang vermissen müssen und erst mit der 66. fängt es wieder an… Hier stimmte einfach alles. Das ist dann doch wohl die klare Nummer 1! Nein. Immer noch nicht. Nudeln und Eis teilten sich den zweiten Platz. Wahrscheinlich ein Novum, dass die Punkte sogar auf’s Tausendstel gleich waren.

So ein Glück, dass es RABU wieder gibt! Das war zu dem Zeitpunkt schon überall im Umzug und an den Straßenrändern wahrgenommen worden. Nun kam die Gruppe Tobias Hübler aus Berbisdorf (Nr. 44), die genau das ins Bild setzte: Wir Glückspilze! Auf dem Umzugswagen ein riesiges Kleeblatt, von kleinen Fliegenpilzen flankiert und dann wieder diese Kostümierung… Da ist man hin und weg. Auf den ersten Blick: alle „gehen“ als Fliegenpilze. Auf den zweiten Blick: diese Verarbeitung. Jeder Pilz steht natürlich auf einem Wiesenkränzchen. Grüne Kniestrümpfe, grüner Blättersaum an den beinlangen Blousons. Marienkäfer aufgenäht. Jeder hat noch einen Glückspilz und ein Kleeblatt auf die Wange gemalt bekommen. Dazu gabs noch Kleeblatt- oder Glückspilz-Tragetaschen. Und was immer wieder bei den tausendstel Abständen eine Rolle spielt: die Gruppe permanent in Aktion, alle tanzend, alle Heiterkeit ausstrahlend, was nach hinten immer wichtiger wird, denn auch das Amstraßenrandstehen wird zunehmend anstrengend, besonders für die kleinen Gäste. Platz 5 sprang dafür bei den Juroren heraus, worüber sich die Gruppe sicher riesig gefreut hat.

„Gesellschaftliches Engagement und Zivilcourage des Einzelnen – hier in Gestalt der Schwester Agnes – stoßen auf gut gemeinte, aber weltfremde Funktionärsentscheidungen,“ heißt es auf Wikipedia über die gleichnamige DEFA-Komödie, die zeitlos zu sein scheint. Christian Berndt (Nr. 46) aka Agnes Kraus brachte sie wieder in Erinnerung, indem er/sie auf seiner/ihrer Schwalbe durch Rabu knatterte. „Mit 66 Jahren ist Schwester Agnes wieder mittendrin“. Für diese Rolle gab es einen Sonderpreis, denn naturgemäß kann man in einer solchen Rolle nicht alle Kriterien erfüllen wie eine Umzugsgruppe.

Ein paar Gruppen nach Agnes kam Ruth. Ruth 66 als Verballhornung des in dieser Saison vielfach reflektierten Highways durch Amerika. Ruth 66 entdeckte man bei einem näheren Blick in den Umzugswagen, der eine typische amerikanische Tankstelle darstellen sollte, als Dame hinter dem Tresen, die wohl ein beliebtes Reiseziel der Biker ist. Auch hier waren wieder Chopper unterwegs – bei den Ebersbachern hier etwas bequemer als bei den Bärnsdorfern in Form von Laufrädern. Da das zwar ökologisch aber akustisch langweilig ist, wurden die Räder trotzdem mit lautstarken Motoren versehen. Leicht zu übersehen: achtet, wenn ihr Euch die Videos anschaut, die in unserer Online-Ausgabe verlinkt sind, mal auf die Lösungen für die Scheinwerfer. Ihr schmeißt euch weg! Die Gruppe 49 um Toni Drobisch kam mit diesem Spaß auf Rang 10.

Noch erwähnt werden sollte die Gruppe Sabrina Muschter (Nr. 51), erstmals als „Team Hofwall“ dabei, die auch den ältesten Teilnehmer des Umzugs stellten, der stolze 98 Jahre alt ist und dessen Wunsch es war, auch einmal beim Umzug mit dabei sein.

Wie gesagt, das Beste kam zuletzt – jedenfalls fast zuletzt. Die Gruppe Michael Mösch (Nr. 59) ließ mal wieder keinen ran und sicherte sich den Sieg knapp mit drei Hundertsteln vor den beiden Zweitplatzierten. Mit ihrer „Poli(nesischen) Klinik“ unter dem Motto „Statt mit chemischen Substanzen therapieren wir mit Tanzen“ zelebrierten sie die Rückkehr des Frohsinns auf die Straßen von RABU. Erna Walther läuft vorne weg und animiert das Publikum mit einem riesigen Ball zum Mitmachen. Hinter ihr der Umzugswagen, aufgerüstet zu einer gigantischen Diskothek, auf der ein polynesisch tätowierter Diskjockey den Rhythmus vorgibt, flankiert  von Männern, die Kassettenrecorder auf ihren Irokesenhäuptern tragen, während fröhlich schwarzgelockte Mädels unter selbstgetragenen Diskokugeln mit einer ausgereiften Choreographie tanzen, die den Garden der Vereine in nichts nachstehen. Jungs mit mannshohen Maorimasken, die bei den Ureinwohnern Neuseelands die Sonne symbolisieren, bringen den naturverbundenen Geist der Polynesier dem närrischen Volk von RABU nahe. T-Shirts beschriftet mit „Maskenpflicht“ und „Masked Singer“ bringen ein zuletzt nerviges Thema zurück in einen freundlichen Kontext. Das Ganze ist ein Meisterwerk!

Mindestens 20.000 Zuschauer standen an den Straßenrändern. Unabhängig von früheren vielleicht zu optimistischen Annahmen bestätigten viele Teilnehmer, so viele Menschen am Straßenrand schon lange nicht mehr gesehen zu haben. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass man Dinge erst wieder zu schätzen weiß, wenn sie mal weg sind/waren. 

Noch ein Rückblick auf die Programm-Veranstaltungen

Mit der Rückgabe des Rathausschlüssels im Anschluss an die Auszeichnungsveranstaltung in der Fastnacht endete die 66. Saison, die zugleich Wiederauferstehung und Neuanfang war. Der Generationswechsel an der Vereinsspitze sicherte Kontinuität auf dem erreichten hohen Niveau und brachte zugleich Neues hervor. Unter der Regie von Marcel Krause, mit dem Schützenhaus-Team im Rücken, werden neue Formate ins Spiel gebracht, sowohl im Zelt als auch in den sozialen Medien. Damit ist man am jungen Publikum, seinen Kommunikations-, Hör-, Seh- und Tanzgewohnheiten dran und hat die Weichen auf Zukunft gestellt. So gab es während der Tollen Tage zahlreiche kurze und unterhaltsame Interviews mit verschiedensten Vereinsteilen. Zum Beispiel auf dem YouTube-Kanal RCCrabu sind sie immer noch zu sehen.

Auch das Narrengericht hat sich verjüngt. Sehr angenehm zu erleben, dass weniger die eigene Show im Mittelpunkt steht, sondern tatsächlich der Dialog mit dem närrischen Sünder, der ja schließlich die in der Höhe selbst festzulegende „Strafe“ für die ihm vorgeworfenen (Un)taten zahlen soll. Durch Änderungen an der Beleuchtung und bessere Akustik konnten die Zuhörer dem Geschehen auf der Bühne viel besser folgen.

Dass Olaf Häßlich als Ehrenpräsident weiterhin eine aktive Rolle bei der Programmgestaltung spielt, sichert Kontinuität. Normen, die das Brauchtum vorgibt, sollten nicht fahrlässig fallengelassen werden, sondern wenn, dann mit Sinn und Verstand in neue Formen gebracht werden. 

Die Auftritte der eigenen Abteilungen sollten der wesentliche Teil des Programms bleiben, auch bei den Zeltveranstaltungen. Die Zugabenwünsche des Publikums schon beim RABU-Miniclub am Samstagabend haben gezeigt, dass man das nicht missen möchte. 

Mit den Nummern „Wo war ich in der Nacht von Freitag auf Montag“ und „Chicki Chicki“ hat die NP wieder das richtige Gespür für’s Publikum gehabt – vom älteren Prunksitzungs-Publikum bis zum jugendlichen Publikum, von der Reloaded bis zum Remmidemmi. Gleiches ist dem Elferrat mit „Night Fever“ und dem „Sonnenstudio“ gelungen. Alle Achtung, wie sie das immer wieder hinbekommen.
Die Garde band in ihre Nummer „Las Vegas“ das Prinzenpaar ein. Seit einigen Jahren wird immer wieder gern dieser gemeinsame Auftritt einstudiert. Auch Prinz André III. und Prinzessin Nadine I. meisterten diese Aufgabe mit Bravour.

Um RAP-Musik mit anspruchsvollen, aber sehr schnell gesprochenen Texten ist es etwas schade, wenn es im Lärm, der nun mal im Megazelt herrscht, untergeht. Da es ja aber trotzdem interessierte Zuhörer gibt, wäre es vielleicht mal eine Idee, den Text irgendwo auf einer Leinwand mitlaufen zu lassen. „Was das alles kostet“ war eine von Nils und Heiko vorgetragene recht witzige Nummer.

Den Abschluss bildete, auch schon mit einer gewissen Tradition, der gemeinsame Auftritt der Garde und der NP. „Evolution of Dance“ zeigte die Entwicklung verschiedener Tanzformen von den Goldenen Zwanzigern bis heute. Am Ende kommen alle „Generationen“ noch mal zusammen auf die Bühne und dann schließen sich die vorher aufgetretenen Gruppen an. Das ergibt im Gegensatz zum Schlussbild des so genannten „Nullteils“, bei dem fast alle in ihren Uniformen auf der Bühne stehen, ein faszinierendes, farbenfrohes Faschings-Schlussbild.

Diesmal war es etwas anders, denn die Verabschiedung von Olaf aus seinen Ämtern als Vereinsvorsitzender und als Präsident des Elferrates war praktisch bei jeder Veranstaltung eine fest eingeplante Programmnummer. So kamen neuer (Kai) und alter Präsident (Olaf) zunächst allein auf die Bühne, erklärten noch einmal den Vorgang des Generationswechsels und dann kamen alle anderen wieder auf die Bühne, um dies gemeinsam mit dem Publikum zu zelebrieren – zum letzten Mal beim Remmidemmi am Samstagabend also. Und nun konnte es Olaf endlich abhaken und am Umzugssonntag gemütlich und entspannt durch das Menschenspalier laufen – aber das sagten wir bereits.