#Missing: Heinrich-Zille-Kneipennacht in Radeburg

Die Coronawelle ebbt ab. Die Politik beeilt sich, dies einerseits als Erfolg darzustellen und andererseits vor einer zweiten, noch schlimmeren Welle zu warnen. Menschen, die zwar nicht vom Virus betroffen waren, wohl aber vom Lock Down, fürchten dass vor allem der zweite Lock Down sie noch schlimmer treffen wird. Radeburger zeigen an, was sie jetzt schon vermissen und sehnen sich nach der Rückkehr der Normalität.

Gedränge bei der Kneipennacht 2019

Gedränge bei der Kneipennacht 2019

Entweder Shut Down, um das Virus, über das man zu wenig weiß, in den Griff zu bekommen und eine zweite Welle zu verhindern, von der man noch viel weniger weiß und Leben zu retten von Menschen, die möglicherweise gefährdet sind und medinische Kapazitäten vorzuhalten, die sonst vielleicht nicht ausreichen.

oder Nichtstun, um Herdenimmunisierung zu erreichen und Schäden ökonomischer, finanzieller, gesellschaftlicher, staatsrechtlicher, pädagogischer, psychosozialer und gesundheitlicher Art zu vermeiden, selbst auf die Gefahr hin, dass das Gesundheitswesen überfordert wird, Erkrankte nicht ausreichend versorgt werden können und deshalb sterben müssen.

So etwas nennt man ein moralisches Dilemma. Politiker müssen sich für einen der beiden Wege entscheiden. Nichtstun ist für Politiker der regelmäßig schlimmste Vorwurf, den man ihnen machen kann, deshalb tun sie lieber das möglicherweise Falsche als gar nichts. Unsere Kanzlerin hat sich für Handeln, für den Lock Down entschieden wie die meisten Staatenlenker auch und damit nicht nur – wie sie selbst sagt – auf die „größte Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg“ reagiert, sondern damit zugleich die größte menschengemachte Katastrophe seit dem zweiten Weltkrieg ausgelöst.

In Radeburg hatten wir fünf positiv Getestete, keine Erkrankten und keine Verstorbenen. Trotzdem müssen auch wir hier alle Schutzmasken tragen. Viele leiden darunter. Für Lungenkranke sind die Masken extrem schädlich, aber sie tragen diese trotzdem, weil sie nicht anecken wollen.

Die meisten Radeburger kennen auch in ihrem Umfeld über Radeburg hinaus niemanden, der an Covid-19 erkrankt, geschweige gestorben ist. Aber fast alle haben oder kennen Kinder, die nicht in die „Sophie Scholl“, zu den „Haselnussspatzen“ oder „Glückspilzen“ gehen können, nicht in die „Villa Regenbogen“ oder KiTa Großdittmannsdorf, Schüler, die nicht in die Grund- oder Zilleschule oder aufs Gymnasium gehen dürfen.

Jeder kennt Kinder, die ihre Spiel- und Schulkameraden vermissen, ihre Trainer und Übungsleiter, Spiele und Wettkämpfe – und selbst Jugendliche und Erwachsene, die ihren TSV 1862 vermissen, ihren Berbisdorfer SV oder die Grünweißen in Großdittmannsdorf oder Ebersbach, den SV Kalkreuth,  die Schützenvereine, die Chöre…

Fast jeder kennt Menschen, die an Vereinsamung mehr leiden als an ihren altersbedingten Krankheiten. Sie vermissen Kinder, Enkel und Freundinnen und Freunde, denen sie sonst z.B. in den Senioreneinrichtungen begegnen oder bei anderen Aktivitäten.

Fast jeder kennt Menschen, die Homeoffice und Homeschooling parallel meistern müssen und wo man nicht weiß, ob sie noch besser dran sind als die, die vielleicht nach Schichtarbeit abends noch Ersatzlehrer „spielen“ müssen.

 

Fast alle kennen die kleinen Geschäfte – das Modehaus Luckow, die Wollkiste, Lederwaren Weser, die beiden Blumenläden, den Handy-Shop von Stefan Roch, das Schuhgeschäft „Cinderella“, das Wäscheeck und den Textilwarenladen Reinhard, alle die Geschäfte, die das Flair unserer kleinen Innenstadt ausmachen und die schließen mussten, während die „Großen“ ohne Skrupel deren Produktpalette übernahmen. Andere Geschäfte wie das Kopierbüro Schmidt oder das Ideenwerk mussten ihr Geschäft ebenfalls einschränken.

Alle kennen unsere „Friseure und artverwandten Dienstleister“, wie es seit der letzten Allgemeinverfügung heißt, “, kennen „die Manu“ und „die Sylvie“, kennen die Haarschmiede, „Pretty Women“, die Salons Georg, Gabi und Lilly, die zwar Termine theoretisch umbuchen konnten, Haare aber nicht zweimal hintereinander schneiden können, auch Ria-Sabine Meinig kann Füße nicht zweimal hintereinander pflegen, so dass die Umsätze unwiederbringlich verloren sind, bei allen gut gemeinten Finanzhilfen.

Jeder kennt die Wirtsleute vom Hirsch, Deutschen Haus, Hundels Bahnhof, den Händlertreff am Selgros, Landgasthof Berbisdorf, das Gasthaus Naumann, den Gasthof Klitsch, den Heidehof und den Gasthof Beeg - die alle nicht wissen, wie es weiter geht.

So kommentierte René Strohbach vom Heidehof, was er von den angekündigten "Lockerungen" für die Gastronomie hält:

"Gedankenspiele ... ohne Euphorie. Sagen wir mal ein Restaurant hat 100 Plätze* mit 25 Tischen a 4 Plätze, man reserviert jeden 2. Tisch für Mr. Covid 19 oder nimmt ihn raus...

A, Stimmung kapputt
B, Sagen wir es die 13 Resttische sind SEHR wohlwollend mit im Schnitt 2,5 Personen besetzt, da eine Person ja bereits eine zweite fremde Person ausschließt

Das Lokal muss um 22.00 Uhr schließen, d.h. gemütliches Abendessen mit 3 Gängen und entsprechend Getränken fällt in den COVID19 Teich...
Wie soll man mit 32,5 Personen durchschnittlich ein 100 Leute Restaurant so führen das es kostendeckend ist? Wie soll man 100 % des Vor-Corona Personals aus der Kurzarbeit holen? Warum soll man als Unternehmer den Betrieb hochfahren wenn es mehr kostet als zuzulassen? Wie soll man Vor-Corona Mieten die auf Volllast kalkuliert sind erwirtschaften!? Wie aufgebaute Schulden tilgen oder nur Zinsen dafür bezahlen?

Wer soll in einen Biergarten bis 20.00 Uhr gehen, wenn er bis 18.00/19.00 Uhr arbeitet oder im Einzelhandel bis 20.00 Uhr !?Touristen sind keine da !!!

Ich bin ratlos ... - die sogenannte Rettung der Gastronomie ist nicht zu Ende gedacht! Nein das ist der finale Todesstoß!!! Ich wünsche mir schnelle sinnvolle
Nachjustierungen, denn so gibt’s kein Sinn!!!"

Alle kennen also „Corona-Opfer“, alle haben persönlich die Folgeschäden der politischen Entscheidungen zu spüren bekommen. Widerstand gegen die Linie der Kanzlerin regt sich in ganz Deutschland – in allen „fifty shades of grey“. Vom Widerstand der Haseloffs und der Laschets über den Appell deutsche Hausärzte, die Demo auf der Görlitz/ Zgorzelecer Stadtbrücke, die Grundgesetzverteilungs-Aktion in Bautzen und den von der Polizei als Demo gewerteten „Spaziergang“ der Pirnaer bis hin zur friedfertigen #Missing: Kneipennacht Aktion am 30. April der früheren Kneipennacht-Akteure in Radeburg.

In vielen Geschäften wurden Plakate, Pappen und Kinderzeichnungen in die Schaufenster gehängt, auf denen sie darstellen und aufzählen, was sie – außer eben die Kneipennacht als größtem Treffen aller Radeburger und Nachbarn außerhalb der Faschingszeit – noch alles vermissen. Auch über das 2. Maiwochenende sollen die Beiträge mit dem Hashtag #Missing in den Geschäften noch zu sehen sein. Sie, lieber Leser, sind zum Stadtbummel herzlich eingeladen!

Die 13. Radeburger Kneipennacht wurde in Kooperation mit der Gaststätte "Zum Deutschen Haus", „wo wir Euch live unterhalten wollten“, von den „Fristo KIDs“ Roland Seiler und Ulf Walther in Form eines Livestreams in virtueller Form in die Radeburger Wohnzimmer gesendet. Zu sehen waren aktuelle Impressionen von allen Kneipennacht-Locations, Fotos und Videos früherer Kneipennächte, u.a. mit Rolf Danies und Horst Schütze, dem Radeburg-Song von Dieter Laqua sowie Einspieler von Katrin Wettin, dem Posaunenchor, Ferdl, André Ruhland von Harijbo und nicht zuletzt die „Hamburg-Schalte“ zu Nils Scheidweiler, der als Fernsehkoch dem interessierten Zuschauer zeigte, wie man Labskaus zubereitet. Ein Zusammenschnitt der Liveübertragung (ohne Pfeifton!) ist auf dem YouTube Kanal von Roland Seiler zu sehen.

Noch ein Wort sei gesagt zur Gutschein-Aktion „Mein Radeburg – HIER kauf ich ein“. Auf diesem Wege soll im Namen aller von der Schließung betroffenen Geschäfte und Dienstleister für die gezeigte Solidarität gedankt werden. Jeder Gutschein, der verschickt werden konnte, war ein Lichtblick in dieser besonders schwierigen Phase. Der wirtschaftliche Schaden ist durch den auf diese Weise gezahlten Vorschuss nicht zu beseitigen, denn die Leistung muss ja noch irgendwann erbracht werden, aber es half in der einnahmelosen Zeit, wenigstens ein Teil weiter laufender Kosten zu begleichen. Und nicht zuletzt ist es ein Vertrauensvorschuss treuer Kunden, die alle sicher auch ihre Probleme haben und trotzdem Solidarität zeigten. Vielen lieben Dank dafür!