Radeburg: Ein Stück Geschichte – vom Wind angeweht

Bei Aufräumarbeiten nach dem Gewittersturm am 22. Juni 2017 fand Dr. Götz-Michael Richter an seinem Grundstück an der Würschnitzer Straße ein altes, stockfleckiges, schadhaftes Stück Sackleinwand von etwa 100 x 160 cm Größe...

Deutlich lesbare Aufschrift: Leihverpackung. Eigentum der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft, Auschwitz O/S, Bahnstation Dwory O/S

Deutlich lesbare Aufschrift: Leihverpackung. Eigentum der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft, Auschwitz O/S, Bahnstation Dwory O/S.

Wem das Stück Stoff gehört, ist nicht bekannt. Der Arzt im Ruhestand hat es sichergestellt und die Bürgermeisterin informiert. Wem es gehört hat und wer es aus welchem Grund weggeworfen oder verloren hat, ist nicht bekannt. Es wäre jedenfalls hilfreich, wenn sich jemand meldet, der zum Fund Angaben machen kann. „Auf jeden Fall ist es ein bedeutendes Zeugnis aus furchtbarer Vergangenheit, das deshalb Registrierung und Beachtung erfahren sollte,“ teilt Dr. Richter in seinem Schreiben mit, das RAZ vorliegt.

Es ist nicht bekannt, welchen Inhalt die „Leihverpackung“ hatte. Die I.G. Farbenindustrie AG ist „der Konzern, der Hitler den Weltkrieg ermöglichte“ (Handelsblatt). Der Bahnhof Dwory ist in ganz besonderer Weise mit den Opfern verbunden, die der Konzern in Auschwitz zu verantworten hatte.

Am 7. April 1941 gründete die IG Farben einen Betrieb zur Herstellung von synthetischem Kautschuk in Auschwitz und „beschäftigte“ dort zehntausende Zwangsarbeiter, von denen viele ihr leben ließen. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt, vorsichtige Schätzungen gehen von 40 000 aus. Dokumentiert sind 900 sowjetische Kriegsgefangene, die noch im selben Jahr durch das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B getötet wurden. Das Giftgas wurde von der Firma Degesch vertrieben, an der die I.G. zu 42,5 % beteiligt war. Ein halbes Jahr später wurde das KZ in Betrieb genommen und das gleiche Mittel in den berüchtigten Gaskammern eingesetzt, in denen den niedrigsten Schätzungen zufolge (Pressac) u.a. 400 000 Juden umkamen. Viele dieser Schicksale sind in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem dokumentiert – wir berichteten im Beitrag "Zu unseren abendländischen Wurzeln" (dort: Tag 8: „Von Yad Vashem nach Bethlehem“) in RAZ 13/2016.

Unsere nächste Israel-Reise vom 8. bis zum 18. März 2018 wird voraussichtlich auch die Gedenkstätte wieder im Programm haben.

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